Oder: neun Grad!

Oder: Temperaturempfinden ist relativ. 

Ausländische Touristin: (wartet ganz nervös in einem Flugzeug, das gerade sanft schaukelnd gen Startbahn rollt. Sie fliegt von München in ihre norddeutsche Heimat – es ist der letzte Flug auf einer recht langen Strecke vom sonnigen, warmen, zwanziggrädigen Kunming in ein Bundesland, das seine eigenen Bewohner als „sturmfest und erdverwachsen“ preist, was gewisse Rückschlüsse auf die dort herrschenden klimatischen Bedingungen zulässt. Hat sich, schließlich ist Dezember, tüchtig eingemummelt, um diesen widrigen Witterungen zu trotzen, sicherheitshalber auch gleich im Flugzeug. Man weiß ja nie. Die Tatsache, dass in ihren diversen zum Bersten zugestopften Gepäckstücken ohnehin kein Platz mehr gewesen wäre, diese Kleidungsstücke zu verstauen, tat ihr Übriges. Sie schnallt sich an und denkt darüber nach, wie ironisch es wäre, auf diesem letzten, unfassbar kurzen Teilflug abzustürzen. Denkt noch ein Momentchen darüber nach und beschließt dann, doch lieber nicht darüber nachzudenken, und beneidet stattdessen die beiden Damen, mit denen sie sich ihre Sitzreihe teilt, denen derlei Gedanken offenbar fremd sind, so entspannt, wie sie alle ihre Gliedmaßen in dem winzigen Raum verstaut haben, die ihnen Lufthansa City dafür gewährt hat. Sie selber krallt sich prophylaktisch schonmal an der Sitzlehne fest und lauscht, ob das Triebwerk vielleicht merkwürdige oder gar beunruhigende Geräusche von sich gibt. Schwitzt ein wenig in all ihren Schichten.)

Flugbegleiter: (haben die Hampelei mit der Schwimmweste abgeschlossen und laufen noch geschäftig durch den Gang.)

Pilot: (meldet sich über den rauschenden Lautsprecher) Herzlich Willkommen im Lufthansa-Flug von München nach Hannover. Bitte schnallen Sie sich an und bringen Sie Ihren Sitz in die aufrechte Position . Unsere Flugzeit wird ca. 45 Minuten betragen und unsere voraussichtliche Ankunftszeit in Hannover ist 12:35 Uhr. Die Temperatur vor Ort beträgt neun Grad. Wir wünschen Ihnen einen guten Flug.

Ausländische Touristin: (Was hat sie da hören müssen? Neun Grad? NEUN??? Wie kalt ist das denn? Sie braucht den Sonnenschein, die leichte Frühlingsbrise, die wohlige Wärme, die Option des Barfußlaufens und Sonnenbadens. Was sie nicht braucht: Neun Grad in Sturmfestunderdverwachsen. Doch neben ihr hat sich ein gänzlich anderes Gespräch entsponnen.)

Dame 1: Boar, neun Grad ey. Was soll das denn. Das ist ja schrecklich heiß. (rollt mit den Augen).

Dame 2: Und das ist Dezember. Echt mal. So was von heiß.

Rätselhaft, diese Deutschen.

Eure ungern frierende Charlotte

Foto von Pixabay