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Kaesong und DMZ

Oder: Tagesausflug zu einem ungewöhnlichen Ort

Liebe Leserschaft,

liebe Grüße aus Wuxi, einer Stadt ohne wirklich spannende Sehenswürdigkeiten oder leckeres Essen (zumindest soweit ich das bislang eruiert habe). Es kann auch sein, dass ich etwas „wegesmüde“ bin (gibt es das Wort?) und so langsam denke, dass es Zeit wird nach Nanjing zurückzukehren, was auch erforderlich ist, da ich bald nach Deutschland fliege und an der Party des Jahres teilnehme: Mein Vater begeht einen runden Geburtstag. Jedenfalls sitze ich jetzt in einem herrlich klimatisierten Café namens „Whitechocola“, esse Tiramisu und versuche mich mal, welch Kontrast, an die demilitarisierte Zone zwischen Nord- und Südkorea zu entsinnen. Nun denn.

In der demilitarisierten Zone (DMZ) sieht man im Wesentlichen eines: Militär. Dazu ein wenig historischer Hintergrund. Beginnen wir mal 1945, dem Jahr des Endes des Zweiten Weltkrieges. Korea, das seit 1910 japanische Kolonie gewesen war, wurde nach der Niederlage Japans zwischen den USA und der Sovietunion aufgeteilt, und zwar entlang des 38 Breitengrades, was buchstäblich eine Pi-mal-Daumen-Einschätzung auf der Grundlage einer Koreakarte aus dem National Geographic war, eine Einteilung übrigens, an der niemand beteiligt war, der tatsächlich irgendetwas über Korea wusste. Die Trennung Koreas in Nord und Süd war eher als vorübergehende Maßnahme gedacht, doch war in Zeiten des Kalten Krieges an eine Wiedervereinigung immer weniger zu denken, im Gegenteil, die Fronten verhärteten sich und aus Besatzungsmächten wurden erbitterte Gegner. Auf beiden Seiten des 38. Breitengrades wurden Regierungen eingesetzt, die sich als rechtmäßige Herrscher ganz Koreas erachteten und 1950 schließlich brach der Koreakrieg aus, als der Norden, mit chinesischer und sovietischer Unterstützung, den Süden angriff und dort relativ schnell weite Gebiete des Landes besetzen konnte. Die Antwort des Südens war ein Gegenangriff mit Hilfe von Truppen aus verschiedenen Staaten Nordamerikas, Westeuropas, Asiens sowie der UN, die die Nordtruppen gemeinsam wiederum fast besiegten, aber eben nur fast. Im Juli 1953 wurde ein Waffenstillstand geschlossen und auf Grundlage der zu diesem Zeitpunkt besetzen Gebiete eine demilitarisierte Zone eingerichtet, deren böse Ironie darin liegt, dass sie mehr oder minder am 38. Breitengrad verläuft. Ebenso nachdenklich stimmt es, dass der Norden, der (entgegen allen Beteuerungen unserer nordkoreanischen guides) den Krieg begonnen hatte, am Ende deutlich mehr Verluste erlitt und seine Städte durch Bombenangriffe nahezu komplett zerstört waren.

Da offiziell nur ein Waffenstillstand, nie aber ein Friedensvertrag geschlossen wurde, befinden sich Nord- und Südkorea theoretisch noch im Krieg miteinander. Und aus diesem Grund ist die DMZ voller Soldaten und militärischer Anlagen. Wie fühlt sich nun ein Besuch dieses Ortes an? Zumindest von der nordkoreanischen Seite aus: eigentlich viel entspannter, als man nun annehmen würde. Man kann sogar Fotos machen, auch von und mit Soldaten (im Rest des Landes absolut undenkbar). Ich habe mir sagen lassen, dass der Besuch von der südkoreanischen Seite aus deutlich strenger abläuft und dass Touristen genaue Anweisungen erhalten, wann sie wo gehen, stehen und blicken (!) dürfen. Im Norden haben Eis gegessen und Selfies mit Soldaten gemacht.

Führung durch die DMZ

Zu sehen gibt es hier auch einiges. Die meisten Touren sowohl vom Norden als auch vom Süden aus führen zur Joint Security Area nahe dem Dorf Panmunjom (das gar nicht mehr existiert), so auch unsere. Zuerst waren wir in dem Haus, in dem die Verhandlungen des Waffenstillstandes und der Einrichtung der DMZ geführt wurden und fuhren dann weiter zum Kern der Joint Security Area: „die blauen Häuser“. Das war durchaus beeindruckend, wenn auch irgendwie merkwürdig. Zum einen ist es seltsam, einfach so zwischen Nord- und Südkorea hin- und hergehen zu können, wie es im mittleren Haus, das genau auf der Grenze steht, möglich ist. Zum anderen ist aber der ganze Ort irgendwie absurd, er ist eine demilitarisierte Zone, in der es vor Soldaten nur so wimmelt, er bildet die letzte (wenn mich nicht alles täuscht) Grenze des Kalten Krieges, er wirkt irgendwie wie ein Relikt und ist doch sehr, sehr real. Er macht aus einem Land zwei, aber er trennt auch Städte und Familien, und man denkt sich: Muss das sein? Kann man das nicht irgendwie lösen? Kann man anscheinend nicht. Und wenn ich ehrlich bin: Ich könnte jetzt keine Lösung dieses Konfliktes aus dem Ärmel schütteln. Es werden wohl noch viele Touribusse nach Panmunjom fahren, ehe sich hier irgendetwas ändert.

in der Joint Security Area

Die Absurdität des Ortes wird durch diverse Phänomene verstärkt, derer wir leider nur z.T. Zeugen wurden, die hier aber trotzdem kurz angesprochen seien. Erstens gibt es eine Art Flaggenmast-Wettkampf, der genau das ist, wonach er klingt: Auf beiden Seiten der DMZ weht die Fahne des entsprechenden Landes, und natürlich muss die eigene Fahne höher als die des Nachbarn wehen. Also vergrößert die Seite, deren Fahnenmast kleiner ist, diesen um so viel, wie nötig ist, um größer zu sein als der des Gegenübers. Besagtes Gegenüber lässt sich das aber natürlich nicht gefallen und verlängert den eigenen Fahnenmast. Undsoweiter. Im Moment hat Nordkorea die Nase, pardon, die Fahne vorn, aber wie lange das so bleibt, ist ungewiss. Zweitens, ein anderer Klassiker: Luftballons. Da nichts über die Grenze transportiert werden kann, waren eine Zeitlang Luftballons das Wahl-Transportmittel für alle Botschaften, die man dem Nachbarn schon immer mal ausrichten wollte. Nordkoreanische Soldaten schickten benutzte Taschentücher und Zigarettenstummel. Südkoreanische Soldaten schickten USB-Sticks mit dem Film „The Interview“. Südkoreanische NGOs schickten Flugblätter. Den Soldaten beider Seiten wurde das Verschicken dieser Art Luftpost mittlerweile streng untersagt und auch die südkoreanischen NGOS wurden von der südkoreanischen Regierung darauf hingewiesen, dass ihre Flugblätter mehr schaden als nutzen. Drittens wäre da noch die Sache mit der Musik. Gelegentlich beschallt der Norden den Süden mit Propaganda, worauf der Süden dann mit K-Pop antwortet.

Mehr Fotos von der DMZ gibt es hier.

Die nächste Stadt zur DMZ heißt Kaesong und ist deshalb ganz interessant, weil sie während des Koreakrieges im Süden lag und deshalb nicht zerbombt wurde und einiges an alter Architektur bewahren konnte.

unterwegs in Kaesong

Als bekanntestes Bauwerk gilt in Kaesong wohl die Kukchagam-Universität, die als erste Universität (Nord-)Koreas gilt – mit einer über tausendjährigen Geschichte, denn sie wurde 992 gegründet. Im Wesentlichen beschäftigte man sich hier mit den konfuzianischen Klassikern aus China, aber es gab auch Mathematik und Jura als Studiengänge. Es ist eine sehr hübsche Anlage, die eher an einen Park erinnert und die zahlreiche kleine Häuser im alten koreanischen Stil enthält. Bis heute gibt es eine Universität in Kaesong, die an und für sich in der Nachfolge der Kukchagam steht, jedoch einen gänzlich anderen Schwerpunkt setzt: die Koryo University of Light Industry.

in der Kukchagam-Universität

Mehr Fotos aus Kaesong gibt es hier.

Zum Abschluss der Fahrt waren wir noch im unweit der DMZ gelegenen Sariwon, wo wir in einem ganz hübschen Park mit Aussichtsplattform (weitere Bilder folgen) waren. Auch in Sariwon sind viele alte Häuser erhalten und man hatte wirklich manchmal das Gefühl, gar nicht mehr im Nordkorea der bunten Plattenbauten zu sein.

Aussicht auf Sariwon

Mehr Fotos aus Sariwon gibt es hier.

Ich hoffe, dieser Beitrag hat euch gefallen. Im Moment merke ich selber, dass meine Blog-Fähigkeiten doch etwas eingerostet sind, denn die Pause war recht lang. In den nächsten Tagen werde ich noch ein paar Bilder zur DMZ und Kaesong hochladen und kurz etwas zur dritten Station unserer Reise, Hoechang, schreiben.

Eure seit etwas zu langer Zeit im Whitechocola sitzende Charlotte

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