Oder: Only in Yunnan
China, immerhin ein riesiges Land, lässt sich ganz grob in zwei Hälften teilen: Weizen und Reis. Der Norden schlürft genüsslich seine Weizennudeln und knabbert an Teigtaschen aller Art. Der Süden schätzt am Reis seine Eigenschaft, Soßen aller Art aufzunehmen, denn, wie jedermann weiß, ist das Beste halt (fast) immer die Soße. Bewohner des Südens haben ein Gefühl von „ich habe heute noch nichts gegessen“, wenn an einem Tag mal kein Reis auf dem Tisch stand – Vorsicht übrigens, das färbt ab. Ich brauche mittlerweile, wenn ich China bin, auch mindestens einmal am Tag Reis, alles andere vermittelt den Eindruck von Unvollkommenheit. Nur durch diese Zweiteilung lässt sich der folgenden Dialog erklären, der sich im südwestchinesischen Yuanmou abspielte.
Ausländische Heldin: (betritt hungrig ein Lokal. Welche Freude ihr die Yunnaner Küche wohl heute bereiten wird?)
Restaurantbetreiber: (emsig) Nihao, möchtest du essen? (eine eigentlich unnötige Frage, aber so wird man in Restaurants öfters begrüßt, als Eisbrecher sozusagen)
Ausländische Heldin: Nihao, ja, ich möchte etwas essen. (folgt dem Restaurantbetreiber zu dem großen Kühlschrank, in dem alles Gemüse und Fleisch, das man sich zubereiten lassen kann, ausgestellt ist – Essensbestellungen in Yunnan. Was sind eigentlich Speisekarten?)
Restaurantbetreiber: Also, was hättest du gern?
Ausländische Heldin: Hmmm…wie bereiten Sie hier die Aubergine zu? (weist auf das Gemüse, lila und schmackhaft, wie es dort im Kühlschrank liegt).
Restaurantbetreiber: Das kann man in Sojasoße braten und…
(In diesem Moment ertönt ein aufgeregter Ruf aus der Küche, im Yunnan-Dialekt, den die ausländische Heldin wohl nie erlernen wird, doch der Stimme ist eine gewisse Dringlichkeit des Anliegens zu entnehmen. Es folgt ein
geschrienes Gespräch zwischen Restaurantbetreiber und Köchin.)
Restaurantbetreiber: (wischt sich den Schweiß von der Stirn) Es tut mir Leid. Aber…der Reis ist alle!
Ausländische Heldin: (verdutzt) Der…Reis?
Restaurantbetreiber: Ja, der ist alle. Es tut mir wirklich Leid. (bugsiert die ausländische Heldin höflich, aber bestimmt zur Tür hinaus.) Es tut mir Leid. (Dann ist die Tür zu.)
Was war da los? Erstens: Niemand will eine Mahlzeit einnehmen, ohne dass es Reis dazu gibt, das ist klar, eine Fortsetzung des Kühlschrank-Bestellungsrituals wäre also unnötig gewesen. Zweitens, und das merkt die ausländische Heldin erst etwas später, war es dem Restaurantbesitzer peinlich, dass sein Restaurant keinen Reis mehr hatte. Anders ist sein höfliches Hinausschieben (mehr oder minder) der ausländischen Heldin aus seinem Lokal kaum zu erklären. Es sei denn, „Reis ist alle“ bedeutet bei ihm „Feierabend!“. Auch möglich.