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Auf der Suche nach den Mandschuren Yunnans 2

Oder: Schnitzeljagd

Oder: Shuigouwa, Teil 2

Liebe Leserschaft,

hier nun die zweite Teil der Abenteuerserie: Finde die Mandschuren. (Teil 1 gibt es hier)

In unserem letzten Teil hat die ausländische Heldin sich irgendwie in das drei-Straßen-Dorf Shuigouwa 水沟洼 durchgeschlagen, wo (angeblich) die einzigen Mandschuren Yunnans leben, eine Ethnie also, die ansonsten nur am anderen Ende der Volksrepublik anzutreffen ist. Nun hat sie in Shuigouwa, nach anfänglichen, sagen wir mal, Zweifeln an diesem kleinen Ausflug, ein mandschurisches Kulturzentrum entdeckt. Das könnte doch was sein.

Die ausländische Heldin liest sich also also die Stele am Eingang durch, die blumig preist, was hier alles Spannendes geschieht. Mandschurische Kalligraphiekurse. Mandschurischer Gesang. Mandschurischer Scherenschnitt. Und noch viel mehr, was alles noch in den nächsten Jahren ausgebaut wird, dank der Regierung von Baoshan. Die Stele hat allerdings auch schon ein paar Jahre auf dem Buckel, in denen der Staubentfernung eine eher geringe Bedeutung beigemessen geworden zu sein scheint.

Während die ausländische Heldin also die Stele liest, nähert sich ein Auto, dank der Stille von Shuigouwa zu hören, lange bevor es erscheint. Es hält vor dem Kulturzentrum und es steigen ein Mann Mitte 40 und eine Frau Mitte 20 mit einem Kleinkind auf dem Arm aus. Wie da wohl die familiären Beziehungen sind? Man weiß es nicht. Ist eigentlich auch egal. Fest steht: Die sind auch nicht von hier, denn sie sehen das mandschurische Kulturzentrum auch zum ersten Mal, wie eindeutig an den Blicken zu erkennen ist, mit denen sie das Gebäude mustern. Ausländische Heldin und Familie starren einander an, es ist irgendwie ein bisschen komisch, dann schreitet der Vater (von wem eigentlich?) an drei aus irgendeinem Grund hier parkenden LKWs vorbei zur Tür des mandschurischen Kulturzentrums und stellt fest: Zu.

In der Zwischenzeit hat ein Motorrad in sicherer Entfernung angehalten, wohl um das ungewöhnliche Treiben am mandschurischen Kulturzentrum zu beobachten. Um der seltsamen Situation mit der Familie zu entkommen, entscheidet sich die ausländische Heldin zu einer Kontaktaufnahme mit dem Fahrer des Motorrads und nähert sich ihm. O-Ton:

Ausländische Heldin: Nihao, äääääh…. ist das hier…. das mandschurische Kulturzentrum?

Motorradfahrer (verdutzt): Ja, das ist es. (Steht doch dran.)

Ausländische Heldin: Ah, ja, also, kann man da auch irgendwie…rein? Wann hat das denn geöffnet?

Motorradfahrer: Naja. (Kratzt sich am (unbehelmten) Kopf) Also eigentlich…hat das keine richtigen Öffnungszeiten.

Ausländische Heldin: Ah. Achso. Und…kann man es besichtigen?

Motorradfahrer: Ja, an sich schon, du brauchst den Schlüssel. (macht die universale Geste für „Schlüssel“, immer schön locker aus dem Handgelenk) Frag mal da im Dorf nach. (weist auf eine der Dreiecksstraßen).

Ausländische Heldin: Ahhh ja. Danke!

Im Übrigen: Mandarin spricht in Shuigouwa niemand, nur Yunnan-Dialekt, Yunnanhua 云南话. Das Yunnanhua-Wort für „Schlüssel“, youchi, hat die Verfasserin dieser Zeilen auch nur durch diverse Hotelaufenthalte in Yunnan gelernt. Auf Mandarin klingt „youchi“ ein bisschen wie „Es gibt was zu Essen“. Hohe Verwechslungsgefahr, v.a. wenn man Hunger hat.

Diese Auskunft half schon mal ein bisschen, doch stellt sich nun die neue Frage: Wo auf den drei Straßen Shuigouwas findet sich nun „der Schlüssel“? Der gute Mann hat Recht: Im Dorf fragen.

Exkurs. Für alle, die die ausländische Heldin nicht so gut kennen: Ich hasse Nachfragen. Ich finde es ganz, ganz schrecklich, und ich weiß selber nicht, wieso. Es ist wahrscheinlich die Schüchternheit einerseits und andererseits die Überzeugung, dass es meistens doch irgendwo ein Schild gibt, das man nur vor lauter Verpeiltheit übersehen hat. In Deutschland ist das auch so. In China…naja. In einer Gesellschaft, die das Zwischenmenschliche viel mehr betont als die deutsche es tut, ist „Ich frag mal kurz“ ganz normal. Aber wirklich für alles. Zum Kellner: Was für Gerichte haben Sie? Zur Putzfrau: Wo ist die Toilette? Es ist egal, dass irgendjemand irgendwann die Speisekarte und das Toilettenschild erfunden hat – erstmal nachfragen. Gucken kann man ja immer noch! Was dann aber auch auf lange Sicht dazu führt, dass manch Orte von einer eklatanten Abwesenheit von Speisekarten oder Toilettenschildern geprägt sind: Essen? Gerade in Yunnan sagt man oft einfach dem Kellner, was man gerade gerne essen würde, der das dann an den Koch weitergibt, der irgendwas zusammenbrutzelt (bzw. oft vereinen sich auch Kellner und Koch in einer Person: dem Chef, dem laoban 老板). Toilette? Ach, immer der Nase nach. Oder eben die Putzfrau fragen.

Also. Wo es in Deutschland ein SCHILD mit festen Öffnungszeiten gäbe oder zumindest eine Telefonnummer, bei der man (so wie man Deutschland kennt: wochenlang im Voraus) einen Termin buchen kann, gilt in China: Frag mal im Dorf nach. Und finde den Schlüssel. Also gut.

Unsere ausländische Heldin hat sich also bei dem Motorradfahrer bedankt, der weiter die Familie beobachtet, und kraxelt eine der Dreiecksstraßen hinauf. Langsam wird es auch echt warm. Wen fragt man denn jetzt? Da spricht sie ein älterer Herr an. Woher sie denn käme, was sie in Shuigouwa mache (eine Frage, die die ausländische Heldin langsam selber nicht mehr zu beantworten weiß). Ein Smalltalk entspinnt sich, leicht verkrampft, aber es läuft. Und: Der ältere Herr ist tatsächlich Mandschure, sieh mal einer an. Alle anderen hier auch, versichert er der ausländischen Heldin. Anscheinend hat ihn der Motorradfahrer per Handy informiert, dass eine leicht sonderbare Ausländerin DEN Schlüssel braucht, den für das mandschurische Kulturzentrum eben. Die zwei Straßen wären ja auch zu weit zu fahren gewesen. Und wie soll er auch sonst die drei anderen Neuankömmlinge am mandschurischen Kulturzentrum im Auge behalten?

Jedenfalls kann der ältere Herr wohl weiterhelfen und bittet die ausländische Heldin, ihm zu folgen. Sie gehen ein paar Schritte weiter und finden sich auf einmal auf einer Art Dorfversammlung wieder. Auf einem Billardtisch (warum auch immer einem Billardtisch) ist eine große Landkarte, die wohl die Umgebung Shuigouwas abbildet, ausgebreitet; anscheinend wird hier eingezeichnet, wer welches Feld bestellt. Wer sich das jetzt als irgendwie chaotisch oder unorganisiert vorstellt (also wirklich, immer diese Klischees!), dem sei gesagt, dass es recht ruhig abläuft und jeder einem jungen Mann „aus der Stadt“, vermute ich mal, zeigt, auf welchem Feld seine Familie anbaut. Das wird dann von diesem jungen Mann eingezeichnet, während ein anderer abhakt, wer schon eingetragen wurde. Es scheint ein bewährtes System zu sein. Leider verschließt sich der ausländischen Heldin aus Gründen des Yunnan-Dialekts der Inhalt der diversen Gespräche, aber anscheinend geht mit dem Eintragen so manches an Grübeleien einher – wofür die ausländische Heldin, die sich auch ab und an mit dem Wechsel von der zweiten in die dritte Dimension und zurück schwer tut, volles Verständnis hat. Auch der ältere Herr ist in diverse Gespräche verstrickt. Die ausländische Heldin möchte sich nicht allzu sehr aufdrängen und wartet erstmal ein wenig.

Und wartet. Und wartet. Und wartet noch ein bisschen. Eines der Hauptmerkmale chinesischer Dörfer scheint zu sein, dass die Leute Ausländer zwar interessant finden, aber entweder schüchtern sind oder sich so sehr dann auch wieder nicht interessieren – jedenfalls fragt an solchen Orten nie jemand nach einem Foto oder dem Herkunftsland. Und so recht weiß die ausländische Heldin nicht, wie sie mit den Shuigouwa-ern ein Gespräch einfädeln soll. Also warten.

Doch irgendetwas scheint sich zu tun, denn der ältere Herr spricht mit diversen anderen älteren Herren vom youchi und macht dazu die universale Geste für Schlüssel. Die ausländische Heldin versucht dezent im Hintergrund zu bleiben und nett zu lächeln. Auch der Straßenhund beobachtet die Dorfversammlung. Eigentlich ganz niedlich, denkt die ausländische Heldin, hält trotzdem mal einen kleinen Sicherheitsabstand ein. Der Hund scheint den gleichen Gedanken zu hegen… man weiß ja nie bei Leuten aus Jenseits-von-Shuigouwa.

Die drei Besucher vom mandschurischen Kulturzentrum haben ebenfalls Straße eins und zwei abgegrast und nähern sich nur über Straße drei der Dorfversammlung. Es hilft wohl alles nichts: Die ausländische Heldin muss einen Kontakt aufbauen, dann sind sie auch vier (ok, ohne das Kind drei) interessierte potenzielle Besucher des mandschurischen Kulturzentrums. O-Ton:

Ausländische Heldin: Nihao…ääääääh….. möchtet ihr zu dem mandschurischen Kulturzentrum?

Junge Frau: Es tut mir leid, wir sind nicht von hier.

Ausländische Heldin: Nein, also, äh, man braucht da so einen Schlüssel (universale Handbewegung) und, also…ein Herr meinte, er könnte den organisieren. Und jetzt… bin ich mit ihm hierher gekommen (weist auf den Billardtisch und die ihn umgebende Menschentraube) aber…ja. Also, ich meine, wir können da zusammen hingehen. Zum mandschurischen Kulturzentrum.

Vater: Ah. Ein Schlüssel?

Ausländische Heldin: Ja, also, wir…müssen hier kurz warten.

In dem Moment löst sich ein junger Mann aus der Gruppe um den Billardtisch, eilt zu seinem Motorroller, setzt sich auf ihn, startet und verschwindet auf Straße Nummer zwei. Er wirkt, als hätte er eine Mission. Holt er etwa den Schlüssel? Langsam schämt sich die ausländische Heldin ein bisschen dafür, einem ganzen Dorf Umstände zu bereiten.

Vater: (hat das Treiben ebenfalls beobachtet, grüßt in die Runde und setzt sich auf einen klapprigen Stuhl etwas abseits vom Billardtisch)

Schweigen.

Junge Frau: Und…woher kommst du?

Ausländische Heldin: Aus Deutschland. (Will fragen, ob das Kleinkind auf dem Arm der jungen Frau ihre Schwester oder ihre Tochter ist, besinnt sich aber eines Bessern.) Und…woher kommt ihr?

Junge Frau: Aus Wafang.

So nah? Es scheint sich um den Versuch eines Tagesausflugs zu handeln. Tolles Ziel!

Ausländische Heldin: Ah ja, ach, das ist ja nah.

Schweigen.

Die ausländische Heldin und die junge Frau beobachten das Treiben um den Billiardtisch, viele Finger zeigen auf die verschiedensten Punkte der Karte und es herrscht eine ganz gute Stimmung. Man hat den Eindruck, dass sich die Gespräche bei Weitem nicht nur um die eigentlichen Felder drehen. Am Rande der Versammlung besticken vier Frauen Einlegesohlen für Schuhe (ja, in China macht man das) und unterhalten sich ebenso lebhaft. Die Gäste aus der Ferne scheint niemand mehr so recht zu bemerken. Ab und an wird ihnen ein Lächeln geschenkt, das die Gäste dann erwidern. In ländlicheren Gegenden ist die Kontaktaufnahme manchmal deutlich schwerer als in (kleinen, mittleren oder großen) Städten, und generell wird hier mit Extrawürsten für Ausländer sparsamer umgegangen. Es hat dadurch etwas Authentisches. Nur sind die Abläufe manchmal zäh.

Der junge Mann mit dem Motorroller ist schon ziemlich lange weg. Langsam fragt sich die Ausländische Heldin, ob sie überhaupt noch Lust auf das mandschurische Kulturzentrum hat, und generell könnte man sich auch mal überlegen, wie man zurück nach Wafang und von dort nach Baoshan kommt, insgesamt immerhin gut 80km.

Doch da hebt der Straßenhund eines seiner Ohren, und tatsächlich: In der Ferne knattert es, und dann knattert es lauter und der junge Mann kommt auf seinem Motorroller angedüst. Ob er den Schlüssel hat? Der Straßenhund setzt sein Nickerchen fort, heute wundert ihn nichts mehr. Die Gäste hingegen schöpfen Hoffnung. Der junge Mann hat tatsächlich einen Schlüssel in der Hand und präsentiert diesen der Versammlung, worauf der ältere Herr von ganz am Anfang einen weiteren Mann bestimmt, der uns zum mandschurischen Kulturzentrum bringen soll. Es geht los!

Liebe Leserschaft, weiter geht es in Teil 3!

Eure Smalltalk übende Charlotte

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