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In den Bergen von Lanping 2

hOder: Ich bin übrigens wieder da

Liebe Leserschaft,

tja, da schlug dann die Uni zu, mit voller Wucht, und die Yunnan-Berichte gerieten etwas, sagen wir mal, ins Stocken. An dieser Stelle wird also die Lanping-Sage in den verbleibenden zwei Teilen zu Ende erzählt werden, dann folgen anstelle ganzer Berichte zu den diversen anderen in Yunnan besuchten Orten ein paar Fotos, die hoffentlich auch einen kleinen Eindruck vermitteln können. Ich bin seit vorgestern wieder in Sturmfestunderdverwachsen, umarme den Heizkörper meines alten Kinderzimmers heiß und innig, und bin dem Gott der Zentralheizung wieder einmal dankbar.

Doch nun ein kleiner Sprung nach Yunnan, das sich durch Sonnenschein und eine eklatante Abwesenheit von Heizungen auszeichnet: Lanping. Es soll mit Li ein Berg bekraxelt werden.

Am nächsten Tag um neun also findet sich unsere ausländische Heldin samt Rucksäckchen auf dem Volksplatz ein und wartet auf Li. Eigentlich ist China ein reisetechnisch sehr sicheres Land und mulmige Momente erlebt man sehr selten. Doch auf dem Volksplatz erblickt unsere Heldin, die sich auf einmal gar nicht mehr so heldenhaft fühlt, einen großen, großen Straßenhund. Denn: Woran erkennt man in China Armut? Klar, an ärmlich aussehenden Menschen und Häusern. Man kann Armut natürlich auch statistisch messen: Durchschnittseinkommen, Wirtschaftsleistung, Bildungsabschlüsse. Doch dann sind da noch kleinere Indikatoren. Die Anzahl der herumfliegenden Plastiktüten ist einer davon. Die Anzahl betrunkener Menschen ein anderer. Und eben die Anzahl Straßenhunde, von denen es in Lanping nicht wenige gibt. Straßenhunde sind meistens friedliche Zeitgenossen, aber ein kleiner Sicherheitsabstand schadet nie. Und dieser Vierbeiner hier ist wirklich groß und muskulös und zottelig. In einer anderen Ecke des Platzes haben sich mehrere Männer versammelt, die, wie sich bei genauerer Betrachtung herausstellt, betrunken sind. Jackpot, denkt sich die Ausländerin (die sich gerade sehr wenig wie eine Heldin fühlt), fehlt nur noch die Plastiktüte. Sie überlegt, was sie tut, wenn sich ein Betrunkener oder der Hund ihr nähert – ob die jeweils andere Seite sie schützen würde?

Jedenfalls erscheint dann Li und entschuldigt sich für die Verspätung. Wartest du schon lange? Ach, nee, gerade erst gekommen.

Beide gehen Brot essen (also…chinesisches Brot, eher Kuchen), eine sehr nette Geste von Li, hat die ausländische Heldin ihm doch am Abend zuvor vom deutschen Brot vorgeschwärmt. Dann beginnt die Besteigung des Berges (Yupingshan 玉屏山), an dessen Fuß Lanping liegt. Da in China alle Berge mit Treppen ausgestattet sind, ist das Besteigen des Yupingshangs an und für sich keine hohe Kunst, nur: Es ist echt steil, und der Yupingshan ist mit seinen gut 3000 m auch ziemlich hoch gelegen. Diese ordentliche Höhe führt auch dazu, dass den beiden Bergkraxlern beim Erklimmen des Berges ziemlich schwindelig wird und sie oft pausieren müssen, um Luft zu schnappen. Päuschen sind aber eigentlich auch ganz angenehm, denn die Aussicht ist gar nicht so
schlecht.

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Li hat auch auf jede Frage eine Antwort oder zumindest eine Idee, was die Antwort sein könnte. Warum sind da vorne so viele Dächer blau? Das sind alte Häuser, bei denen es reinregnet, und sie wurden mit diesen blauen Dächern abgedeckt. Wer das bezahlt hat, weiß Li auch nicht, aber die einheitliche Farbe legt nahe, dass es zumindest in irgendeiner Form zentralisiert ablief. Was sind das für nagelneue Häuser da rechts? Da hat ein Bauunternehmer seine Arbeiter nicht bezahlt, aber um sie ruhig zu halten, durften sie in einige der neu gebauten Wohnungen einziehen. Aha.

Zeit für Selfies bliebt übrigens auch:

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Und dann ist der Gipfel erreicht!

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Auf der anderen Seite sieht man – noch mehr Berge.

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Doch diese Berge weiterzubekraxeln, dazu sind die zwei Helden jetzt doch etwas zu erschöpft und außerdem meldet sich ein kleiner Hunger. Also wird wieder runtergekraxelt, Schwindel und Schwindelpäuschen eingeschlossen. Man merkt, dass die zwei nicht von hier sind, denn sie werden von diversen fröhlichen Lanpingern überholt, denen die Höhe überhaupt nichts ausmacht. Xialuote, wie hoch ist eigentlich deine Heimatstadt in Deutschland?, fragt Li. Puh. So 50 oder 60 Meter…

Nach dieser Bergbekraxelung muss natürlich ein kleiner Imbiss eingenommen werden, und so essen unsere zwei Wanderer eine ordentliche Portion Reisnudeln. Danach laufen sie ein bisschen durch Lanping und entdecken ein „Pumi-Museum“. Nichts wie rein, denkt man sich dann natürlich als Yunnan-anthropologisch interessierte Reisende, doch nein: Das Museum ist geschlossen. Eine genauere Betrachtung ergibt: Wahrscheinlich ist es immer geschlossen. Wahrscheinlich war es nie geöffnet. Wahrscheinlich war es mal eine gute Idee, die nie so ganz vollendet wurde. Es sieht aus, als hätte irgendwer angefangen, das Museum einzurichten und es sich dann doch anders überlegt. Ein bisschen erinnert es an Shuigouwa mit seinem Mandschurischen Kulturzentrum, das
zwar fertig gestellt und eröffnet wurde, doch an dem nach einer Weile jedes Interesse der Shuigouwaer erlosch. Irgendwie scheint den lokalen Regierungen Ethnizität (finanziell) förderungswürdig zu sein, doch entweder reicht das Geld dann doch nicht oder aber irgendwer (Regierung oder Bevölkerung) verliert das Interesse an der Fertigstellung oder Fortführung des Projekts. Es ist vielleicht auch einfach Yunnan: Ach, eigentlich egal. Komm, wir machen was anderes. Oder auch einfach gar nichts.

Spricht man Li auf die, sagen wir mal, niedrige Geschwindigkeit der Veränderungen in Lanping an, kommt er ordentlich ins Reden, sowohl bei den Reisnudeln als auch bei einem abendlichen Bierchen mit seinem Cousin, dessen Eltern ebenfalls die Arbeit nach Lanping verschlagen hat, mit dem Unterschied, dass er zu diesem Zeitpunkt noch zur Schule ging und sich ihnen also anschloss. O-Ton:

Li: Die Leute in Lanping…ach, naja, die sind halt alle ethnische Minderheiten und, wie du siehst, sie arbeiten nicht soooo viel. Nach dem Tanz (den die ausländische Heldin auch dieses Mal beobachtet hat, denn wie gesagt, in Lanping gibt es so viel anderes echt nicht zu erleben) gehen sie alle nach Hause.

Ausländische Heldin: Hm, tja, das scheint so… (sieht zufällig, wie der Betreiber der Bierbude auf seine Handyuhr schaut, denn bald will wohl auch er Feierabend machen. Es ist ja auch schon 21 Uhr. Trotzdem hat sie das Gefühl, irgendwie die ethnischen Minderheiten Yunnans, ihre geliebten ethnischen Minderheiten Yunnans, ein bisschen in Schutz nehmen zu müssen.) Was hat das denn damit zu tun, dass sie ethnische Minderheiten sind?

Li: Ach, keine Ahnung. Die haben irgendwie keinen Geschäftssinn.

Ausländische Heldin: Naja…ääh…vielleicht gibt es ja noch Wichtigeres als Geld und so. (nippt verstohlen an ihrem Bier. Schmeckt wässrig. Willkommen in China).

Cousin: Ja, natürlich. Aber ein bisschen Entwicklung (fazhan 发展, spätestens seit Hu Jintao ein ganz wichtiges Wort) muss auch sein… Als meine Eltern und ich kamen, konnte man abends nur mit einem Messer aus dem Haus gehen. Oder naja, man ist am besten im Dunkeln gar nicht rausgegangen. Ständig wurden Leute überfallen und ausgeraubt und…

Li: (schnell) Ach naja, das ist ja jetzt länger her. Es ist ja doch schon vieles besser geworden… (blickt besorgt zur ausländischen Heldin)

Ausländische Heldin: (denkt an ihren Pass und ihr Bargeld und all die Wertsachen, die sie bei sich trägt, denn eine recht schnelle Inspektion des Schlosses, oder besser gesagt: Schlösschens, zu ihrem gammeligen Hotelzimmer ergab, dass man hier besser nichts unbeaufsichtigt liegen lässt) Aus…geraubt?

Cousin: (aufgeregt) Ja, ausgeraubt! Und manchmal erstochen. Da vorne, an der Ecke (weist auf eine gar nicht so weit entfernte Stelle), da zum Beispiel, da ist jetzt vielleicht sechs oder sieben Jahre her. Das Messer war so lang (malt eine ziemlich beeindruckende Klinge in die Luft).

Betretenes Schweigen.

Li: Ja, also, damals waren die Leute echt arm. Das ist jetzt ja viel besser.

Ausländische Heldin: Ah. Naja, dann ist ja gut. (nippt noch einmal an ihrem Bier. Es hilft jetzt auch nichts. Auch wirken die Lanpinger Passanten nicht irgendwie verängstigt, im Dunkeln noch durch diese Stadt zu laufen. Und auch nicht, als versteckten sie Messer unter ihrer Kleidung, sei es zum Angriff oder zur Verteidigung.)

Irgendwann ist auch der schönste Bierbudenaufenthalt vorüber und Li begleitet die ausländische Heldin zu ihrem Hotel, ehe er todesmutig alleine nach Hause geht, zugegebenermaßen nicht allzu weit. Die Gespräche des Abends stimmen einen doch irgendwie nachdenklich. Es ist eine echt alte Frage, die sich wohl nie so ganz beantworten lässt: Wie kann man einem Ort zu wirtschaftlicher Entwicklung verhelfen und trotzdem seine Traditionen, im Falle Lanpings auch noch Traditionen einer ethnischen Minderheit, die ohnehin schon genug sinisiert wird, wahren? Ist das überhaupt möglich? Und wie viel Entwicklung ist eigentlich gut? Natürlich gibt es schlaue Menschen, die sich damit auseinandergesetzt haben und sicherlich intelligente Gedanken zu dieser Frage haben, aber so ganz wird sich dieses Spannungsfeld wohl nie lösen lassen.

An dieser Stelle ein Tipp für Chinareisende: das mit der Sicherheit und so. Generell ist China ein unheimlich sicheres Land zum Reisen. Wer Pech hat, der fällt einem Taschendieb oder irgendeinem Betrüger zum Opfer, aber richtige Raubüberfälle oder Schlimmeres sind sehr selten. Doch es besteht so ein gewisses Gefälle zwischen Städten und kleineren Orten. In Deutschland sagt man ja meistens kleineren Orten nach, sicherer als Städte zu sein, doch in China ist es umgekehrt, denn hier gibt es das Hukou户口-System, nach dem man zum Umzug in eine größere Stadt eine Genehmigung benötigt, die eben nicht jeder erhält. Man braucht z.B. einen Arbeits- oder Studienplatz in
der Stadt, in die man ziehen will. Als Folge gibt es in den Städten China keine Slums oder Ghettos oder so, und auch (fast) keine Stadtteile, die man nachts um jeden Preis meiden sollte. Kleinere Städte hingegen…nun ja. Mir persönlich ist noch nie etwas geschehen, aber sagen wir mal so: Die Gestalten, die nachts durch Chinas Großstädte wandeln und die, die sich an kleineren Orten rumtreiben, unterscheiden sich durchaus.

Ach ja, und warum lief man früher nachts mit einem Messer durch Lanping, um sich gegen andere Messer tragende Lanpinger zu schützen? Warum wählte man keine andere Verteidigungsmethode? Der Amerikaner hätte eine Knarre zur Hand, der Deutsche sein High-Tec-Pfefferspray mit Stiftung-Warentest-Logo, der Chinese eben ein Messer. Es liegt einfach daran, dass es in China unmöglich (also wirklich: unmöglich) ist, als Privatperson an eine Schusswaffe zu kommen, ich glaube da muss man schon echt gute Connections haben. Alles, was man irgendwie abfeuern kann, wird sehr streng kontrolliert. Ich dachte immer, die Kontrolle geschehe durch den Staat, doch nein, es steckt vielmehr die Partei dahinter (habe ich mir zumindest jüngst sagen lassen), denn an manchen (!) Stellen kann und sollte man beide ziemlich scharf trennen. Zum einen geht es dabei natürlich um die Sicherheit der Bevölkerung, ein durchaus lobenswertes
Ziel. Dann will man natürlich Demonstrationen vermeiden, die aus Protest nach
Schießereien entstehen könnten (man denke nur mal an die USA, die in China auch immer als Beispiel für schlechte Waffenpolitik angeführt werden, wohl zu Recht), denn Demonstrationen sind, weil Ansammlung vieler unzufriedener Menschen, grundsätzlich sehr, sehr schlecht. Und naja, natürlich soll zum anderen der bewaffnete Aufstand verhindert werden. Es ist ja nicht so, als gäbe es keine Waffen. Nur sind die eben bei denen, die gegen potenziell herrschaftsgefährdende Aufstände vorgehen: beim Militär und der Militärpolizei. Das erklärt auch, warum ausgerechnet die Partei die Waffen beaufsichtigt und entscheidet, wer eine in die Hand gedrückt bekommt.

Sagte ich es ist unmöglich, an ein Gewehr zu kommen? Naja. 2012 war ich mit Freunden bei den Reisterrassen in Yuanyang (auch in Yunnan) und schaute ziemlich verschlafen der Sonne beim Aufgehen zu. Auf einmal hörte man in der Ferne Schüsse, und noch mehr Schüsse, die immer näher kamen. Es erschienen irgendwann zwei Hani-Männer mit Gewehren, die nett grüßten und erklärten, sie jagten Enten. Aha. Entweder haben sie ihre Gewehre tatsächlich auf zweifelhaften Wegen erlangt, oder aber es gibt tatsächlich wie in Deutschland die Möglichkeit, als Jäger ein Gewehr zu besitzen. Vielleicht gibt es Sonderrechte für Landbewohner oder für ethnische Minderheiten. Chinesisches Waffenrecht wäre doch fast mal eine Hausarbeit wert. Fast.

Eure nach wie vor unbemesserte Charlotte

Hier noch ein paar Bilder aus der Innenstadt Lanpings:

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Hier gibt es Kleidung verschiedener ethnischer Gruppen käuflich zu erwerben

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Lanping im Nieselregen

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Gemüsemarkt in Lanping

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