Oder: Ein Leben ohne diese App ist möglich, aber (leider) schwer
Liebe Leserschaft,
ihr seid frisch in China angekommen – was braucht ihr? Klar, ein Dach über dem Kopf, eventuell eine Aufenthaltsgenehmigung, und dann: Essen. Soziale Kontakte. Irgendwas mit Bank und Geld. Ein Fahrrad. Handyguthaben. Nachschub für euren Wasserspender. Nun könnte man Geschäfte aussuchen, Menschen anquatschen und mit Bargeld hantieren. Oder man holt sich Wechat.
Wechat (chinesisch Weixin 微信, „Mikrobriefe“) ist eine chinesische App, nein, die chinesische App. Alle anderen Apps sind mehr so schmückendes Beiwerk und absolut entbehrlich. Wechat kann alles. Es ist dein Retter in der Not, allwissender und allmächtiger Begleiter, ach, es ist wie ein Körperteil, und zwar eines der wichtigeren. Eine Niere kann man entbehren, aber Wechat auf gar keinen Fall. Hier mal die Top Ten der Wechat-Funktionen:
10. Chatten
So ganz, ganz ursprünglich war Wechat mal vorwiegend zur Kommunikation mit anderen Menschen da, und dazu wird es natürlich bis heute genutzt. Das geschieht allerdings mittlerweile in ausgebauter Form, mit Sprachnachrichten, (Video-)Anrufen, Gruppenchats, Stickern ohne Ende und der Möglichkeit den eigenen GPS-Standpunkt per Nachricht zu teilen.
9. Wechat Moments
Ähnlich wie bei Facebook oder Instagram (gibt es natürlich in China nicht) kann man auf Wechat einen Status posten oder Fotos teilen, Fotos, die einem idealerweise Ansehen, mindestens aber Neid der Wechat-Freunde einbringen. In einer Illusion von Privatsphäre sieht man nur Posts von Leuten, mit denen man einander auch geaddet hat, und sieht auch nur Likes und Kommentare von diesen.
8. Followen
Auch eine gewisse Ähnlichkeit von Wechat zu Twitter lässt sich feststellen: Neben den unter 9. erwähnten privaten Accounts gibt es auch öffentliche, auf denen Promis das Neuste aus ihrem Leben teilen.
7. Bezahlen
Wechat kann man mit seinem (chinesischen) Onlinebanking verknüpfen und dann zum Bezahlen in Geschäften benutzen, indem man einen bestimmten QR-Code scannt. Was ist eigentlich Bargeld? In manchen (nicht allen) Teilen Chinas sieht man es fast gar nicht mehr.
6. Überweisen
Natürlich kann man auf ähnliche Weise Freunden Geld überweisen oder in Gruppenchats Rechnungen aufteilen. Ebenso gibt es eine hongbao-Funktion (红包), die für manche ein interessanter Zeitvertreib zu sein scheint. Man schickt in eine Gruppe einen „roten Umschlag“ mit Wechat.Geld (eigentlich nutzt man Hongbaos bei Festen zum Schenken von Bargeld) und wartet, wer ihn am schnellsten ergattert. Die erste Person bekommt den größten Anteil, die zweite den zweitgrößten undsoweiter. Warum nicht.
5. Essen bestellen
Über Wechat, das mit einer Essensbestellwebsite namens Eleme (饿了么) irgendeine Kooperation am Laufen hat, kann man sein Abendessen zu sich nach hause liefern lassen. Bezahlung natürlich ohne Bargeld. Auch kann man neues Wasser für den heimischen Wasserspender ordern, auch manche Supermärkte machen mit.
4. Wäsche
Umgekehrt kann man aber auch über Wechat abholen lassen: Über eine ebenfalls in Wechat eingebettete App ist es möglich, seine zu waschende Wäsche abholen und anschließend wieder nach Hause liefern zu lassen. Auf gleiche Weise funktionieren übrigens auch Kleiderspenden.
3. Nebenkosten aller Art
Strom, Wasser, Handy, Internet, und noch viel mehr lassen sich über Wechat bezahlen. Früher (…vor ein paar Jahren) musste man zur offiziellen Stelle pilgern, oder mindestens zur Bank, doch das gehört jetzt der Geschichte an.
2. Von A nach B
Über Wechat kann man ebenso ein Taxi rufen und öffentliche Fahrräder nutzen. Irgendwo versteckt sich wohl auch ein Busfahrplan, den ich aber noch nicht entdecken konnte. Es mag auch nur ein Mythos sein, aber theoretisch ist es natürlich technisch möglich, die GPS-Koordinaten aller Busse in der Nähe mit Wechat zu verbinden, wodurch sich auch die zeitliche Entfernung zur nächsten Bushaltestelle berechnen lässt.
1. Tickets
Auch irgendwie von A nach B: Tickets für Zug und Flugzeug, über entsprechende eingebaute Apps. Bequem, schnell, bargeldlos, ich glaube das Prinzip ist klargeworden.
Liebe Leserschaft, wahrscheinlich habt ihr einen gewissen spöttischen Unterton erkannt. Denn natürlich ist Wechat praktisch und effizient, es ist aber auch die ultimative Datenkrake, die alles sammelt und auswertet, was Nutzer ihr anvertrauen. Wann bist du warum wo? Wie ernährst du dich, was kaufst du so? Das ist schon einiges an Informationen, die der Konzern Tencent (Tengxun 腾讯) über seine Nutzer sammelt. Datenschutztechnisch eine komplette Katastrophe, aber naja, da es Datenschutz in China ohnehin eher weniger gibt, wohl auch wieder nicht. Willkommen in der Dystopie China.
Trotzdem: Ohne Wechat komme zumindest ich nicht aus. Rückständig wie ich bin, zahle ich in China gerne weiter mit Bargeld und latsche kilometerweit durch die Gegend, um die Stromrechnung zu begleichen. Aber wer auch nur den Ansatz eines Soziallebens in China pflegen will, der sollte und muss fast schon sich Wechat zulegen. Jeder Chinese wird einen nach dem Nutzernamen fragen, und wer sagt, er habe kein Wechat, verpasst doch einiges an potenziellen Kontakten. Was ist eigentlich eine SMS?
Liebe Leserschaft, nutzt ihr Wechat? Welche Funktion ist für euch unerlässlich, welche braucht ihr so gar nicht? Oder kommt ihr ohne Wechat aus? Schreibt einen Kommentar oder eine Nachricht!
Eure Wechat nutzende Charlotte
Foto über Pixabay