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Das Leben als TU-Studentin

Oder: Ganz viel Neues

Liebe Leserschaft,

Busfahren hin, Quietscheentchen her, manch ein Leser mag sich fragen, was die Bloggerin eigentlich macht. Also.

Ich bin erfolgreich aus dem Sprachkurs an der Yunnan University geflohen und bin nun, in vielerlei Hinsicht, „woanders“. Ich bin ineinem neuen Fach beheimatet, und zwar Jura. Ich besuche tägliche eine andere Uni, nämlich die Kunming University of Science and Technology. Ich lebe in einem anderen Stadtteil Kunmings, nämlich Chenggong, eine Stunde Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln (wenn alles glatt läuft) von der in der Innenstadt gelegenen Yunnan University entfernt.

Neues Fach: Jura

Dem Fachwechsel war einiges an Überlegungen vorausgegangen – welche Fächer gibt es und welche sind auf Chinesisch zu schaffen? Schließlich fiel die Wahl auf Jura, weil ich mich schon länger für das Fach interessiert, aber irgendwie nie den Schritt gewagt hatte, tatsächlich Vorlesungen aus ihm zu belegen.

Die Kurse besuche ich mit den Zweitsemestern zusammen. Insgesamt sind es fünf Veranstaltungen: Strafrecht 1, Einführung in das Bürgerliche Recht, Vergleichende Verfassungslehre, Geschichte des chinesischen Rechts, Geschichte des ausländischen Rechts[1]. Meine Kommilitonen finden in ihrem Stundenplan noch Fächerübergreifendes, das bei mir wenig Begeisterung auslöste – warum dürfte klar werden, wenn man einen Blick auf die Liste dieser Fächer wirft: Englisch, Sport, Geschichte des modernen China (=Propaganda). Da ich offiziell ein „General Visiting Scholar“ bin, kann ich aussuchen, was ich belege und was nicht, denn den Abschluss (4 Jahre) strebe ich hier nicht an. Neben diesem recht offensichtlichen Vorteil hat dieser Status auch den Haken, dass niemand weiß, in welche administrative Schublade ich zu stecken bin und ich irgendwie so völlig außerhalb von allem agiere.

Sprachlich ist es natürlich nicht so ganz leicht, aber so allmählich baut sich ein gewisses Fachvokabular auf, auch wenn ich gestehen muss, in manch einer Vorlesung streckenweise schon KOMPLETT VERLOREN gewesen zu sein. Glücklicherweise betreiben chinesische Dozenten etwas, was in Deutschland selten anzutreffen und mitunter geradezu verpönt ist, nämlich lehrbuchnahes Unterrichten – buchstäblich eine Vor-Lesung. Von daher verbringt „die ausländische Kommilitonin“ (waiguo tongxue 外国同学), wie ich nun heiße, dieser Tage viel Zeit mit dem Nach- und Vorbereiten der Lehrbuchtexte. Uff!

Aber ich kann nicht klagen! Jura ist nämlich ganz interessant. Oder zumindest das Studium des Fachs 😀 Gerade am Anfang befasst man sich (wie es mir scheint) natürlich viel mit Gesetzen, aber auch Geschichte und Politik spielen eine große Rolle, und aus irgendeinen Grund hat die Vorlesung über Vergleichende Verfassungslehre einen anthropologischen Anstrich erhalten.

Der Ironie des Studiums der Rechtswissenschaften in einem Land, das sich wenig um Recht(e) schert, bin ich mir natürlich bewusst. Man könnte das jetzt natürlich recht weit ausführen, aber es sei nur kurz gesagt, dass es im Allgemeinen schon wichtig ist, die Lage zu kennen, wenn man etwas verändern will, und dazu gehört es nunmal, zu wissen, wie die Gesetze auf dem Papier aussehen. China hat z.B. eine wunderschöne Verfassung mit Versammlungs-, Rede-, Presse- und Religionsfreiheit (um nur ein paar Beispiele zu nennen), aber an der praktischen Umsetzung hapert es, gelinde gesagt. Ähnliches gilt für viele andere Gesetze (und viele andere Länder, aber das führt nun wirklich zu weit).

Der andere Aspekt dieser Frage ist ein absolut unpolitischer: Ich interessiere mich einfach für Jura und möchte mich ein bisschen damit befassen.

Neue Uni: KMUST

Die Kunming University of Science and Technology (Kunming Ligong Daxue 昆明理工大学), kurz KMUST, wurde 1954 gegründet. Hier studieren knapp 30.000 Studenten so spannende Fächer wie „Geographical Information System“ oder „Agricultural Hydraulic Engineerung“ und viele andere Dinge, unter deren Bezeichnungen ich mir so rein gar nichts vorstellen kann, die aber bestimmt für die entsprechenden Studenten hochinteressant sind. Und Englisch. Und eben Jura.

Der Campus ist ganz hübsch und nagelneu. Prachtstück ist die Bibliothek, die irgendwie wie ein mutierter Rubik-Zauberwürfel aussieht. Ansonsten finden sich auf dem Campus Labors, landwirtschaftliche Felder, Windräder und dergleichen. Es ist ein, sagen wir mal, neues Umfeld für die ausländische Kommilitonin, die sich zuvor stets im sicheren Umfeld ihrer geliebten Geisteswissenschaften bewegt hatte.

Daran mag sich nun die Frage anschließen, weshalb ich ausgerechnet diese Universität ausgewählt habe (Mutter: „Dass eines meiner Kinder noch an einer TU landet! Ha!“), wo es doch Jura an diversen anderen Unis in Kunming gibt. Nun, es hat weniger einen fachlichen Hintergrund als einen praktischen. Ob es daran lag, dass das Ausländerbüro der Yunnan University sowohl unterbesetzt als auch, nun ja, mäßig kompetent war, vermag ich im Nachhinein nicht zu sagen, auf jeden Fall wollte ich an einer Uni studieren, deren Ausländerbüro zumindest den Eindruck erweckt, einen Plan zu haben. Ich habe die Yunnan Normal University (nicht etwa für „normale“ Menschen, sondern für Lehrer, die natürlich als Vorbilder dienen und der „Norm“ entsprechen sollen), die Yunnan University of Nationalities (eine Volluniversität, deren Schwerpunkt auf der Erforschung ethnischer Minderheiten liegt) und eben die Kunming University of Science and Technology in Erwägung gezogen, und Letztere wirkte nicht nur organisierter, sondern auch persönlicher (für jeden Studenten wird eine eigene Mappe angelegt!!).

Neuer Ort: Chenggong

Ein weiterer Unterschied zum letzten Semester besteht auch darin, dass meine Vorlesungen nicht im Stadtzentrum, sondern im neuen Stadtteil Chenggong stattfinden. Hier wurde vor langer Zeit beschlossen, das Stadtzentrum Kunmings zu errichten, und da dürfen die Hochschulen natürlich nicht fehlen. Es entstand dann die University Town, in der sich ein überdimensionaler Campus an den anderen reiht, unter ihnen auch die KMUST.

Chenggong war ursprünglich mal ein Dorf. Also wirklich, ein Dorf. Das Dorf steht auch noch, seine Bewohner haben mittlerweile aufgehört den Kopf ob der pilzartig aus dem Boden geschossenen neuen Wohnblocks in der Ferne zu schütteln. Aber natürlich müssen die Unimitarbeiter auch irgendwo wohnen. Um Chenggong herum lagen verstreut einige Dörfer – einige gibt es noch, einige mussten weichen, ihre Bewohner erhielten Wohnungen in einem besagter Pilzhäuser. Nunja.

Es ist schon etwas merkwürdig, wenn man es sich mal genauer ansieht. Das neue Chenggong ist riesig, aber zum Teil noch gar nicht bewohnt. In vielen Wohnungen lebt niemand, die Straßen sind breit und leer, es ist alles noch im Werden. Dazwischen finden sich Reste der ganzen Landwirtschaft, die hier zuvor anzutreffen war – Traktoren, Hühner, Leute mit Weidenkörben auf dem Rücken. (Für eine genauere Beschreibung Chenggongs siehe hier – etwas nach unten scrollen).

Und bergig ist es! Da die Busse hier zwar zahlreich, aber irgendwie auch unregelmäßig sind und die Linien in (für mich) unpraktischen Routen verlaufen, habe ich mir ein Fahrrad zugelegt. Der Weg zur Uni ist bergab und fährt sich wie von selbst, auf dem Rückweg jedoch verfluche ich insgeheim die Stadt“planer“ Chenggongs, die die Berge mehr oder weniger eingeebnet haben, aber eben nur mehr oder weniger. Das letzte Bisschen hätte nicht geschadet! Wenn ich zu Hause bin, hat mein Gesicht eine Farbe irgendwo zwischen Tomate und Aubergine angenommen. Die Berge bescheren einem aber auch einen tollen Ausblick (wir wohnen im 24. Stock) und richtig schöne Sonnenaufgänge.

Und so ist vieles neu und spannend. Räumlich hat sich alles um ca. 30km verlagert, der Alltag ist aber durchaus anders, und das gefällt mir irgendwie.

Ihr Lieben, ich hoffe, es geht euch gut. Ich freue mich immer, zu hören, was bei euch so neu ist und was beim Alten geblieben ist. Der Blog ist wegen des Anstiegs der Zeit, die ich der Uni widmen muss, ein wenig inaktiver geworden, wird aber natürlich weiterhin gepflegt. 🙂

Eure einen neuen Abschnitt beginnende Charlotte

[1] angefangen bei Mesopotamien bis hin zur EU – eine mitunter leicht willkürlich erscheinende Mischung, aber meinetwegen.

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