You are currently viewing Chinesischer Nachtzug, ganz oben

Chinesischer Nachtzug, ganz oben

Oder: Ein Mal genügt

Liebe Leserschaft!

An dieser Stelle muss ich mal dem deutschen Klischee gerecht werden und: eine Runde meckern. Und einen Rat erteilen. Und euch über eine Erkenntnis informieren. Und das alles eigentlich in umgekehrter Reihenfolge.

Eigentlich ist es aber eher als praktischer Tipp gemeint, denn diesen Blog mag vielleicht auch manch einer lesen, der eine Chinareise in Betracht zieht.

Zuerst das Positive: Ich kann Reisen im Zug wirklich nur empfehlen. Es ist günstig, entspannt, sicher und interessant. Die chinesische Eisenbahn ist absolut zuverlässig und quasi nie zu spät. Heute bin ich aus Chengdu wiedergekommen, in einem Zug, der ursprünglich aus Ürümchi kam und dessen gesamte Fahrt nach Kunming schlappe zwei Tage dauerte. Um 12:35 Uhr sollte er in Kunming sein: Tatsächlich kam er fünf Minuten früher an.

In chinesischen Zügen gibt es mehrere Klassen, unter anderem „hartes Bett“ (yingwo 硬卧) für Fahrten über Nacht. Innerhalb des harten Bettes gibt es das obere, mittlere und untere Bett, eine Einteilung, in der sich auch der Preis spiegelt – unten ist teurer als mittig ist teurer als oben. Warum wohl?

Weshalb das untere Bett teurer ist, erschließt sich sofort: Man kann aufrecht in ihm sitzen. Wer eines der beiden günstigeren Betten erwischt hat, spart zwar Geld, muss es zum Sitzen aber auch verlassen. Doch worin besteht der Unterschied zwischen Mitte und oben? Das fragte ich mich ab und an, die ich noch nie oben geschlafen habe. Warum ist es günstiger?

Auch hier liegt manches auf der Hand: Das Bett ist über eine Leiter zu erreichen, die hochgekraxelt werden will, dann gilt es, sich irgendwie ins Bett zu befördern. Jeder mag da seine eigene Technik haben, ich habe im Laufe der zurückliegenden Fahrt eine entwickelt, die den Einsatz aller vier Extremitäten an unterschiedlichen Orten erfordert. Wenn etwas schief läuft, bricht man sich alle Knochen. Aber es läuft nichts schief, und man ist jung und dank väterlichen, pädagogisch möglicherweise unkonventionellen Abhärtungstrainings im Kleinkindalter auf Gerüsten und Leitern jeder Art frei von Höhenangst. Warum also ist es günstiger?

Nun, ich weiß es jetzt, glaube ich. Und zwar liegt man erstens direkt unter einer Neonlampe, die von 7 bis 22 Uhr brennt, zweitens unter einem Lautsprecher, aus dem im selben Zeitraum bei beachtlicher Lautstärke chinesischer Retortenpop ertönt (ja, alle 15 Stunden hindurch), drittens unter einer Lüftung, die mal eisig, mal heiß, immer miefig Luft pustet. Es ist an und für sich nicht so dramatisch, aber man bedenke: Die Fahrt aus Chengdu dauert 17 Stunden. Und wie die Ürümchi-Kunming-Fraktion das durchsteht, ist noch einmal eine andere Frage. Reisen macht Spaß.

Man könnte sich natürlich auf einen der Klapphocker im Gang setzen. Nur wäre da erstens die Leiter des Grauens. Und zweitens wird man von wohlgesinnten, freundlichen, neugierigen Chinesen in ein Gespräch verwickelt, dessen Verlauf so vorhersehbar wie gewohnt ist: Woherkommstdu, wasmachstduinchina, gefälltdirdasessen, bistduGANZALLEINEhier, deutscheautossindsuper, ihrtrinktdochimmerbier, dusiehstechtauswie (hier habe ich schon alles von Barbie bis Angela Merkel gehört). Es ist lieb gemeint. Aber die Fahrt nach Kunming ist lang. Reisen macht Spaß.

Achja, und auf der Hinfahrt habe ich mir bei dem Versuch, mich hinzusetzen, den Kopf an einem Haken gestoßen, der über dem oberen Bett hängt und dessen Funktion mir auch nach zwei langen Fahrten unter ihm ein Rätsel bleibt. Es ist eine richtige Beule. Reisen mach Spaß.

Erkenntis: Das obere Bett ist teurer wegen: Licht, Lüftung, Lautsprecher, Leiter. (Alliteration!)

Rat: Ein mittleres oder unteres Bett ist eine super Investition.

Meckern: eigentlich unnötig.

Eure wohlbehalten angekommene Charlotte

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.