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Kunming: Neulich bei der Post, 1. Akt

Oder: Helden der Arbeit, ein Drama in vier Akten

Unserer Auslandsstudentin steht die Rückkehr in ihre kalte Heimat bevor, weshalb sie, Umzugserfahrenen mag das Problem bekannt erscheinen, Unmengen ZEUG per Post zurückschickt, denn die Anzahl ihrer Koffer wie auch ihrer Extremitäten, die diese befördern könnten, ist begrenzt. Also auf zur Post.

Die chinesische Post ist etwas, was in der Volksrepublik ansonsten im Aussterben begriffen ist: ein Staatsbetrieb. Zwar erlebt der Beruf des Briefträgers in leicht abgewandelter Form, nämlich dem Paketträger, eine Blütezeit sondergleichen, denn kein Mensch kauft Dinge mehr im Geschäft, sondern im Internet, was zu einem Boom des Pakethandels geführt hat. Die chinesische Post hat irgendwie den Anschluss verpasst. Um mit irgendetwas Anderem auftrumpfen zu können, hat man den Verkauf von Zug- (Achtung, ebenfalls Staatsbetrieb!) und Flugtickets als zweites Standbein erkoren, das Aufladen der Kunminger Verkehrskarte für Busse und U-Bahnen der Stadt (so eine Art Oyster Card für Kunming) als drittes, doch zumindest theoretisch ist und bleibt der Versand von Briefen, Päckchen und Paketen Hauptaufgabe.

 

1. Akt: Post an der Straße des 1. Dezember

Auslandsstudentin: (begibt sich schwer beladen zu einer Post. Mal sehen, was der Spaß kostet. Betritt besagten Postbetrieb.)

Heldin der Arbeit 1, Mitte 40: (hantiert wichtig mit ihrem Handy).

Auslandsstudentin: (stört nur ungern bei Chatgesprächen, aber ihre Tasche ist schwer und ihr Anliegen dringend) Nihao, ich wollte mal fragen, was es kostet, ein Paket auf dem günstigsten Weg nach Deutschland zu schicken.

Heldin der Arbeit 1: (blickt von ihrem Gerät auf. Arbeit. Och nö. Gelangweilt) Das musst du nachgucken.

Auslandsstudentin: Äh, ah, alles klar. Und…wo?

Heldin der Arbeit 1: In dem grünen Hefter da. (verweist auf einen in einer Ecke des Schalters lieblos zusammengeschobenen kleinen Berg Broschüren und Heftchen. Alles ist grün, die Farbe der chinesischen Post. Widmet sich wieder ihrem Handy.)

Auslandsstudentin: (nähert sich schwer beladen dem Stapel und hebt einen Broschüre hoch, die ein Foto eines Flugzeugs ziert. Das könnte jetzt richtig sein.) Diese hier?

Heldin der Arbeit 1: (blickt vom Bildschirm auf) Nein.

Auslandsstudentin: (versucht ein anderes Blatt) Das hier vielleicht?

Heldin der Arbeit 1: (blickt auf) Nein.

Auslandsstudentin: Ääääh…. (mit welchem Papier soll sie als nächstes ihr Glück versuchen?)

Heldin der Arbeit 1: (blickt auf, seufzt, erhebt sich schwerfällig und widerwillig, geht zu dem Papierhaufen und zieht einen kleinen Ordner hervor. Grün, versteht sich) Der hier. (setzt sich wieder hin)

Auslandsstudentin: Oh, wunderbar, vielen Dank. (blättert in dem Ordner und entdeckt nach langer, langer Suche in endlosen Zahlenkolonnen einen Preis, der sich auf Deutschland zu beziehen scheint. Das Sinologiestudium hat sich echt gelohnt.) Ok, also, ich hätte einmal gerne…. naja, den billigsten Preis hier, über See und Land.

Heldin der Arbeit 1: (blickt auf) In Ordnung. Jetzt?

Auslandsstudentin: Ja….jetzt.

Heldin der Arbeit 1: (blickt ein letztes Mal von ihrem Handy auf, bevor sie es weglegt. Schnell die Arbeit hinter sich bringen) Dann zeig mal her.

Auslandsstudentin: (setzt ihren gigantischen Rucksack ab und packt Unmengen Bücher und Kleidung aus.)

Heldin der Arbeit 1: Ist das alles? Ok. (holt ein großes Paket und ein Formular für die Auslandsstudentin.) Füll das mal aus (beginnt die Bücher in das Paket zu puzzlen)

Kunde: (betritt die Post, in der Hand eine Verkehrskarte und einen 50-Yuan-Schein. Was der gute Mann möchte, ist nicht schwer zu erahnen: seine Karte aufladen.)

Heldin der Arbeit 1: (blickt von ihrem Puzzle auf. Arbeit. Och nö.)

Auslandsstudentin: (widmet sich eifrig dem Formular und würde liebend gerne vorschlagen, dem guten Mann doch fix die Verkehrskarte aufzuladen, ist aber viel zu neugierig, ob die Heldin der Arbeit 1 von selber auf diesen Einfall kommt. Tut sie aber nicht.)

Heldin der Arbeit 1: (hat fertig gepuzzlet) Gib‘ mir mal deinen Pass.

Auslandsstudentin: (überreicht das Dokument. Ohne Ausweis läuft in China nix.)

Heldin der Arbeit 1: (tut, was alle, wirklich ALLE Chinesen tun, wenn man ihnen einen Pass überreicht: blättert ausgiebig in ihm rum. Zeigt schließlich auf der Hauptseite auf den Vornamen der Studentin.) Ist das dein Nachname?

Auslandsstudentin: Der Nachname steht oben, der Vorname darunter.

Heldin der Arbeit 1: Hm. (gelangweilt.)

Kundin: (betritt die Post, einen Verkehrskarte und einen 100-Yuan-Schein in der Hand. Was die wohl möchte? Schwer zu sagen, sehr schwer.)

Kunde: (verlagert das Gewicht vom einen Bein aufs andere.)

Heldin der Arbeit 1: (unbeirrt. Setzt sich und beginnt irgendetwas in den Computer zu tippen.) Nihao, ist das die Passnummer?

Auslandsstudentin: Ja, das da oben. (Ist fertig mit dem Formular. Fragt sich, seit wann Chinesen eigentlich anstehen. Das muss wohl irgendwie neu sein.)

Kunde: (atmet hörbar aus.)

Heldin der Arbeit 1: (unbeirrt.) Ist das hier ein I oder eine Eins? (Immer diese Ausländer mit ihren komischen Pässen)

Auslandsstudentin: Eine Eins. (blickt entschuldigend zu Kunde und Kundin. Keine Reaktion.)

Heldin der Arbeit 1: (tippend) Schreib mal die Adresse auf das Paket. Und den Absender auf die Rückseite.

Auslandsstudentin: (kommt der Bitte nach)

Heldin der Arbeit 1: (tippend) Und jetzt tu das Paket auf die Waage.

Auslandsstudentin: (folgt auch dieser Anweisung. Die Waage beginnt schrill zu piepen, anscheinend ist sie eher für Briefe gedacht und nicht für neun Kilo schwere Pakete, wie das, das die Auslandsstudentin auf sie befördert hat)

Heldin der Arbeit 1: (tippt unbeirrt weiter.)

Kundin: (blickt irritiert auf das Gerät)

Kunde: (blickt irritiert auf sein Handy, in der Volksrepublik Ersatz für die Armbanduhr)

Heldin der Arbeit 1: (tippt mit einer Seelenruhe und unter dem Anspruch der Genauigkeit langsam und doch penibel jeden einzelnen Buchstaben des Namens der Auslandsstudentin ein. Dass die auch immer so lange Namen haben müssen. Wirft schließlich einen Blick auf die Waage und betätigt ein paar Knöpfe, die sie zum Schweigen bringen.) Neun Kilo. (tippt umständlich auf einen Taschenrechner ein) Das sind 380 Yuan, bitte. (holt Klebestreifen und verteilt diesen großzügig auf dem Paket. Nimmt das Geld der Auslandsstudentin entgegen. Überreicht Wechselgeld und Pass.)

Geschafft!

 

Oder doch nicht? Hier geht’s zum 2. Akt!

Foto über Pixabay

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