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Göttingen: Neulich beim Feuertopf

Oder: Jemand würde sich im Grabe umdrehen!

Unsere deutsche Studentin ist von ihrer Tandempartnerin und ihren zwei Mitbewohnerinnen, ebenfalls aus China, zum Feuertopfessen nach Hause eingeladen worden. Feuertopf (huoguo 火锅) ist ein ganz schmackhaftes Gericht, das schon hin und wieder an dieser Stelle Erwähnung fand und sehr gesellig ist. In einem Topf köchelt eine scharfe Brühe vor sich hin, in ihr kocht man nach und nach Fleisch, Gemüse, Tofu, Nudeln oder was das Herz noch so begehrt. Es ist ein bisschen wie Fondue.

Tandempartnerin: (erzählt, sichtlich erregt, von einer mündlichen Deutschprüfung) Und dann musste ich über die Stadt erzählen, in der ich meinen Bachelor gemacht habe, Changsha. Die Prüferin, eine Deutsche, fragte mich nach berühmten Persönlichkeiten von dort. Ich meinte XYZ? [die Verfasserin dieser Zeilen erinnert sich leider nicht daran, um wen es sich handelte, denn das Auswendiglernen der Namen chinesischer Popstars und Schnulzenschauspieler gehört nicht zur Grundausbildung der Leipziger Sinologie]. Nee, meinte sie, der nicht. Also fragte ich, meinen Sie ABC? Den Sänger? Auch nicht. DEF vielleicht? Die Frau lachte und meinte nein. (kichert)

Mitbewohnerin 1: Und um wen ging es letztlich?

Tandempartnerin: Tja, dann hat sie es mir gesagt – Mao Zedong! (lacht)

(Allgemeine Überraschung macht sich breit, auch bei der Deutschen, der (buchstäblich) glatt die Glasnudeln von den Stäbchen fallen.)

Mitbewohnerin 2: Mao Zedong?! Auha!

Mitbewohnerin 1: Uih. Aber der kam doch gar nicht aus Changsha, nur aus der Nähe, aus Shaoshan… (rührt verwirrt im Feuertopf)

Tandempartnerin: Das habe ich ihr auch gesagt. Aber Shaoshan ist so klein und so nah dran, das ist praktisch dann doch irgendwie Changsha. [shenghuoshenghuo berichtete über eine revolutionäre Reise einer ausländischen Heldin nach Shaoshan: http://shenghuoshenghuo.tumblr.com/post/106712011791/lebenszeichen-aus-deutschland-von]

Mitbewohnerin 2: Also da muss man ja auch erstmal drauf kommen. Mao Zedong… (fischt kopfschüttelnd ein Stück Möhre aus dem Feuertopf)

Tandempartnerin: Ja, fand ich auch. Ich hatte Angst, dass sie mich gleich fragt, was ich von ihm halte, manchmal machen die Deutschen das ja… Hat sie aber nicht. Glücklicherweise. (schlüft erleichtert ein paar Nudeln aus ihrer Schale)

Deutsche Studentin: Und was HAT sie dich dann gefragt?

Tandempartnerin: (kichert) Naja, sie war in jungen Jahren auch mal da, das muss echt lange her sein. Sie fragte mich, ob es immer noch so ist, dass in der Eingangshalle im Bahnhof von Changsha „Der Osten ist rot“ gespielt wird [Dongfang hong 东方红, DAS Loblied auf den Großen Vorsitzenden Mao. Shenghuoshenghuo berichtete über dieses Lied und die chinesische Nationalhymne, die von „Der Osten ist rot“ eine Zeitlang sogar erfolgreich verdrängt wurde: http://shenghuoshenghuo.tumblr.com/post/102353979071/von-freiwilligen-m%C3%A4rschen-und-einem-roten-osten]

Mitbewohnerin 1: Das haben die gemacht? Früher? Im…im Bahnhof?!

Tandempartnerin: Anscheinend, naja, es ist ja schließlich seine Heimatstadt…so quasi.

Mitbewohnerin 2: So ist das eben. Heute haben wir alle viel zu viel zu tun, kein Mensch hat mehr Zeit, „Der Osten ist rot“ zu hören!

(Alle vier denken über die Weisheit dieser Worte nach. Wenn das der tote Mao wüsste. In seinem Mausoleum in Peking würde er sich einmal krachend umdrehen. Sofern der dort zu bestaunende Leichnam nicht ohnehin eine Wachsfigur ist, wie man seit Jahrzehnten munkelt.)

Was bedeutet Mao eigentlich noch? Die junge Generation vergisst ihn, die mittlere hat keine Zeit für ihn, die alte pilgert in sein Mausoleum, um letztlich ein Werk à la Madame Tussaud zu bestaunen.

Foto von Pixabay

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