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Chinesische Gebärdensprache

Oder: Neues Hobby!

Liebe Leserschaft,

vielen Dank an alle, die die jüngsten Mandschuren-Posts gelesen haben. Yunnan war eine sehr coole Reise und es werden auch bald noch Berichte davon folgen. Doch ich möchte auch nicht aus den Augen verlieren, wo ich im Moment bin: Nanjing. Und da der Blog ja allem Brachliegen zum Trotz so einen GEWISSEN Aktualitätsanspruch erhebt, erzähle ich nun mal ein bisschen aus dieser Stadt.

Also. Es läuft alles so halbwegs, die Uni ist doch entspannter als letztes Semester, was zum einen daran liegt, dass Göttingen endlich mal (Hausarbeiten-)Ruhe gibt, zum anderen aber auch an der bedauerlichen und durchaus beunruhigenden Tatsache, dass unsere Dozenten abwechselnd krank sind und im Moment echt viel ausfällt. Da alle Veranstaltungen auf Deutsch stattfinden und recht spezialisiert auf ein Rechtsgebiet sind, ist es auch nicht möglich, eine Vertretung zu finden. Sprich: mehr freie Zeit

Halt..frei? Wie man’s nimmt. Es gibt da noch eine Tür, die letztes Semester ganz und gar nicht offen stand (sondern eher fest verriegelt war), und die heißt: Hobbys. Mal einen Nachmittag was unternehmen. Nanjing kennen lernen. Jenseits zugiger Klassenräume etwas über China lernen. Dem Sozialleben ein bisschen frönen.

Und so habe ich mich für einen Kurs in Chinesischer Gebärdensprache angemeldet und finde es ganz cool. Gleich zu Beginn: Gebärdensprachen sind letztlich eigene Sprachen. Jedes Land hat seine eigene, inklusive spezieller Grammatik und Dialekten. Man kann Gebärdensprachen zu Sprachfamilien gruppieren, doch letztlich gilt ganz grob: Je Land eine Gebärdensprache.Übrigens können Festlandchinesen und Taiwanesen problemlos miteinander reden, da sie die gleiche Sprache sprechen, doch sind die Gebärdensprachen hier so verschieden, dass unter Gehörlosen aus der Volksrepublik und Taiwan keine Kommunikation möglich ist. Es gibt in China etwa 20 Mio. Gehörlose.

Wie kommt man also vom Wort zur Gebärde? Soweit ich das bislang erkennen kann, gibt es drei Quellen von Gebärden:

1. Gebärden, die das Wort pantomimisch darstellen

Beispiel 1 – lesen: zwei Augen (verkörpert durch zwei Finger) bewegen sich über eine Buchseite (verkörpert durch die Handfläche der anderen Hand)

Beispiel 2 – Hase

Beispiel 3 – Haus

2. Gebärden, die das Schriftzeichen nachbilden:

Beispiel 3 – ye4 业 (Beruf, Fach – die Bedeutung ist hier aber nicht wichtig)

Beispiel 4 – 田 (Feld, übrigens ein Piktogramm)

Beispiel 5 – 人 (Mensch, ebenfalls ein Piktogramm)

3. Gebärden, die auf der Pinyin-Romanisierung beruhen

Die chinesische Sprache kennt neben den Schriftzeichen noch verschiedene Romanisierungen, von denen die bekannteste die offizielle Pinyin-Umschrift ist. Romanisierungen sind zwar letztlich nur eine Krücke, aber trotzdem etwas Wunderbares, da sie es ermöglichen, Chinesisch auf einer QWERTY-Tastatur zu tippen oder Wörter zu notieren, deren Zeichen man bei Gelegenheit nachschlagen möchte. Dank Pinyin weiß auch jemand, der des Chinesischen nicht mächtig ist, dass sich hinter 北京 die Stadt Beijing verbirgt (streng genommen: bei3 jing1, denn da wäre ja noch diese Sache mit den vier Tönen).

Auch die chinesische Gebärdensprache kennt für die Pinyin-Buchstaben jeweils Gebärden, mit denen z.B. Eigennamen wiedergegeben werden können. Manchmal dienen sie aber auch als Grundlage für Gebärden.

Beispiel 6: 政治 zheng4 zhi4 (Politik)

Die Gebärde für die Buchstabenkombination „zh“ ist folgendermaßen:

Und die Gebärde für „Politik“, ZHeng4 ZHi4:

Beispiel 7: 意义 yi4yi4 (Bedeutung)

Die Gebärde für Y:

Gebärde für Yi4Yi4:

Beispiel 8: 虽然 sui1ran2
(obwohl)

Gebärde für S:

Gebärde für R:

Gebärde für Sui1Ran2:

Diese einzelnen Gebärden ordnet man dann zu Sätzen an, nach grammatikalischen Regeln, die von der chinesischen Sprache etwas abweichen, aber (wie mir scheint) wirklich nicht allzu sehr. Es ist auf jeden Fall sehr interessant und macht Spaß, aber es ist auch durchaus anstrengend und nach dem Kurs bin ich immer etwas erschöpft. Wie es halt so ist, wenn man eine neue Sprache lernt. Nur dass in diesem Fall nicht nur das Hirn, sondern auch die Finger müde sind.

Wenn Chinesisch nun schon so entsetzlich viele Zeichen hat, warum, mag manch einer sich nun fragen, kommuniziert man dann nicht einfach mit diesen? Erstens ist das doch eher eine dröge und darüber hinaus unpraktische Kommunikationsform –stellt euch vor, ihr schiebt mit eurem Gegenüber Zettelchen hin und her. (Macht in Deutschland ja auch niemand). Zweitens gehen Gehörlose nicht immer zur Schule, und im Schnitt kürzer als ihre hörenden Altersgenossen. Soll heißen: Sie können nicht unbedingt alles schreiben.

Ach und: Warum lernen sie nicht Lippenlesen? Ganz einfach: Weil Chinesisch Töne hat.

Die chinesische Zeichensprache wurde 1887 von westlichen Missionaren erfunden (wie übrigens auch Umschriften für viele Minderheiten-Sprachen – kleines sinoethnologisches Wissen am Rande) und setzte sich dann sehr, sehr langsam in ganz China durch. Bis vor gar nicht allzu langer Zeit war mit der Taubheit noch eine starke soziale Stigmatisierung verbunden, was das Erlernen der Gebärdensprache verhinderte und weshalb Gehörlose eigentlich nur in Fabriken arbeiten konnten, oftmals auch gar nicht. Doch mittlerweile werden sie stärker integriert und es gibt mehrere Schulen für Gehörlose und in Tianjin sogar eine Universität.

Ich bin sehr gespannt, wie sich das Erlernen dieser neuen Sprache noch gestalten wird und wie viel ich schaffen kann. Es ist auf jeden Fall eine Erfahrung und ich fände es unglaublich interessant, mich tatsächlich mal mit einem Gehörlosen zu unterhalten – wer weiß.

Eure bei Gelegenheit mal ihre Bude aufräumende Charlotte

#china

 

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