Oder: Nur mit der Kneifzange…und nur bei Kentucky Fried Chicken
Liebe Leserschaft,
Lieblingsreiseorte hat so ziemlich jeder – sei es ein besonders beeindruckender Berg, ein außergewöhnlich schöner Strand, ein Restaurant, in dem es besser schmeckt als anderswo. Aber habt ihr auch, sagen wir mal, Anti-Ziele? Also Orte, an die euch keine zehn Pferde wieder bekommen? Ich, die ich eigentlich keinem Chinaabenteuer abgeneigt bin, habe auf meiner Chinakarte, ja, auf meiner Weltkarte, ein schwarzes X, eine Stadt, die ich nie wieder auch nur aus der Ferne sehen will: Lanzhou. Furchtbarer Ort.
Reisen bildet und erweitert den Horizont (zumindest idealerweise). Ich finde es wichtig, an neue Orte zu fahren und einen (großen oder kleinen) Eindruck von ihnen zu gewinnen. Und das gänzlich unabhängig davon, was „die Anderen“ sagen oder was in irgendwelchen Reiseführern steht, oder ob der Ort überhaupt im Reiseführer zu finden ist. Hinfahren, angucken, im Zweifel früher als geplant weiterfahren – gerade bei freieren Touren ohne vorab geplante Reiseroute ganz leicht. Oder länger bleiben, ein bisschen mehr sehen, mit ein paar weiteren Leuten reden, die lokale Küche noch näher kennen lernen.
Trotzdem muss man ja nicht immer begeistert sein. Natürlich wird man von manchen Reisezielen ganz hin und weg sein, weil Erwartungen nicht nur erfüllt, sondern übertroffen wurden. Aber manchmal steht am Ende des Aufenthalts die Erkenntnis, dass eine erneute Fahrt hierher eigentlich nicht erforderlich ist. Und manchmal macht man eben auf seiner Karte jenes schwarze X: Nie wieder, auf keinen Fall. No-go area.
Das ist bei mir eben Lanzhou. Und um den diversen „Reisen ist super“-Berichten mal einen kleinen Gegenpol zu setzen, erzähle ich euch heute, wieso.
Kleiner Disclaimer vorab: Ich war 2013 in Lanzhou. Von daher ist es an und für sich möglich, dass sich manches gebessert hat. Meine innere Pessimistin hält aber im Falle Lanzhous Hopfen und Malz für verloren.
Warum überhaupt nach Lanzhou?
Lanzhou (兰州) ist die Hauptstadt der Provinz Gansu, ein wirklich schöner und reisetechnisch (noch) unterschätzter Teil Chinas. Hier leben im Norden Muslime in der Wüste, im Süden Tibeter auf der Steppe – sehr vereinfacht ausgedrückt. Was ich sagen will: Es ist eine sehr vielseitige und abwechslungsreiche Provinz, in der man auf relativ kleinem Raum öfters das Gefühl haben kann, sich auf einmal in einem komplett anderen Land wiederzufinden.
Doch zurück zu Lanzhou. Die Stadt hat ungefähr drei Millionen Einwohner und ist historisch durchaus von Bedeutung, vor allem in wirtschaftlicher, spezieller in logistischer Hinsicht. Lanzhou liegt am Gelben Fluss, einem der wichtigsten Ströme Chinas, und war zudem einer der wichtigsten Knotenpunkt der Seidenstraße. Später wurde es zu einem der Zentren der Schwerindustrie.
Was gibt es also in Lanzhou zu sehen? Ehrlich gesagt nicht sonderlich viel. Die Lanzhou-lamian, eine besondere Art von Nudeln, sind in ganz China sehr bekannt. Es gibt ein paar Moscheen, Tempel und Parks. Alles nichts Besonderes, wenn man ehrlich ist.
Mich selber hatte es in jenem Sommer von 2013 nach Lanzhou verschlagen, weil es auch heute transporttechnisch ein wichtiger Knotenpunkt ist. Wer Gansu erkunden will, kommt um Lanzhou eigentlich nicht herum. Hier laufen alle Züge zusammen. Hier ist der überregionale Flughafen. Hier treffen sich alle Fernbuslinien. Ich war also drei Mal da, aber immer nur kurz: Ein Mal bei der Ankunft, ein Mal bei der Abreise, ein Mal zwischendrin zum Umsteigen auf dem Weg von Jiayuguan nach Gannan. Das sind drei Mal zu viel.
Die Luft
Juli 2013, Ankunft in Lanzhou. Es war ein etwas turbulenter Flug, noch dazu früh am Morgen, sonderlich ausgeruht fühlte ich mich also nicht. Nachdem ich mich wieder ein bisschen beruhigt hatte, blickte ich in den Himmel über Lanzhou, aus dem wir gerade recht unsanft gepurzelt waren, und stellte eine dicke, graue Wolkendecke fest. Die wurde auch nicht mit der Zeit weniger. Hinzu kamen ein seltsames Gefühl in der Nase und im Rachen – Luftverschmutzung. Wie gesagt, die Schwerindustrie, und es hilft nicht, dass Lanzhou in einem Tal liegt.
Jeder Ort sieht gleich viel schöner aus, wenn die Sonne scheint, und entsprechend viel weniger hübsch, wenn es in ihm regnet oder sein Himmel stark bewölkt ist. Lanzhou war da ein Paradebeispiel, denn die Stadt war durch die Luftverschmutzung Grau in Grau. Wenn man dann noch nicht normal atmen kann, verbessert das den Eindruck nicht gerade.
Angeblich ist die Luft mittlerweile besser. Das glaube ich erst, wenn ich es sehe – also nie. So rein routinemäßig habe ich gerade mal das Internet befragt und für Lanzhou AQI-Werte (Air Quality Index) zwischen 119 und 142 erhalten, Werte, bei denen Alte, Kinder und Lungenkranke Aktivitäten an der Luft reduzieren sollen. An einer der Messstationen Lanzhous wurde gar eine stolze 160 gemessen. Zum Vergleich: In Hannover lag der AQI zum gleichen Zeitpunkt bei 15-19. Und in Lanzhou war Nacht.
Der Verkehr
Aber gut. Frisch in Lanzhou angekommen, Flughafenshuttle ins Zentrum irgendwie bewältigt, doch dann: Wie bewegt man sich hier eigentlich fort? Ich weiß es bis heute nicht.
Busse: Die Busse in Lanzhou kann man eigentlich vergessen. Sie fahren zwar irgendwie irgendwo lang, aber für Außenstehende ist nicht nachvollziehbar, nach welchem System. Diesen Eindruck hatte ich wohlgemerkt aus Kunming kommend, wo es auch keine Busfahrpläne gibt und wo Stationen mehr so Empfehlungen sind. Aber Lanzhou toppt alles.
Taxis: Wer nicht zu Fuß gehen möchte (und Lanzhou streckt sich), muss also ein Taxi anheuern. Normalerweise in China gar kein Problem. Man winkt am Straßenrand eins zu sich, steigt ein, wird umhergefahren, zahlt den Preis auf der Fahrpreisanzeige und steigt aus. Alternativ muss man vorher ein bisschen über den Preis verhandeln, aber in aller Regel ist auch da das Ergebnis halbwegs fair. Schlimmstenfalls zahlt man ein bisschen mehr als Einheimische oder, im Falle der Verwendung eines Taxameters, nimmt einen kleinen Umweg. Generell aber sind Taxis in China, außer an Touriorten (!), wirklich in Ordnung. Und heutzutage benutzt ohnehin fast jeder Didi, das chinesische Uber.
Uber gab es „damals“ noch nicht, und ob es sich mittlerweile in Lanzhou durchsetzen konnte, weiß ich nicht. Jedenfalls war in Lanzhou das Taxifahren immer ein Akt. Taxis findet man auch hier halbwegs schnell, aber dann! Ewige Preisverhandlungen, die bei Mondpreisen ansetzen. Reinsetzen, feststellen, dass man nicht losfährt. Warum? Weil man erst fährt, wenn das Taxi voll ist, weil man natürlich noch andere Leute finden muss, die in die gleiche Richtung befördert werden wollen. Und das kann dauern, wenn man als naive Touristin in ein leeres Taxi gestiegen ist und nun erstmal wartet. Tipp (eigentlich logisch): Immer ein Taxi suchen, in dem nur noch ein Platz frei ist.
Dann jedenfalls fährt man gefühlt jeden Winkel Lanzhous ab und drückt bei der Ankunft dem Fahrer irgendwelche Scheine in der Hand, erleichtert, endlich mal irgendwo angekommen zu sein.
Flughafen: Da wir gerade beim Transport sind: Der Flughafen Lanzhou ist auch nicht so der große Wurf. Er ist zwar an sich nicht schlecht und verfügt, wie gesagt, über Shuttles in die Innenstadt (die recht weit weg vom Flughafen entfernt liegt). Aber, und das wird gleich noch wichtig: Er macht nachts zu und öffnet erst im Morgengrauen wieder seine Pforten.
Die Hotellerie (die diesen Namen nicht verdient hat)
Ein nachts geschlossener Flughafen ist in Lanzhou für Ausländer, die am nächsten Morgen weiterfliegen wollen, sehr, sehr ungünstig. Denn in Lanzhou (und übrigens auch in im Umkreis Lanzhous gelegenen Städten wie Linxia oder Zhangye) sind Hotels sehr streng mit einer uralten Vorschrift, nach der Ausländer nur in bestimmten Hotels übernachten dürfen, Hotels, die das Budget eines jeden Studenten komplett sprengen. Auch andernorts kann es passieren, dass man an der Rezeption abgewiesen oder irgendwie heimlich in einem der unauffälligeren Zimmer beherbergt wird. Yunnan wäre da ein wunderbares Beispiel, denn auch hier muss man manchmal bei mehreren Unterkünften fragen und gelegentlich auf die Tränendrüse drücken. Aber Lanzhou…keine Chance. Es ist verständlich, dass Hotels niemanden aufnehmen wollen, dessen Beherbergung eine heftige Geldbuße mit sich bringen kann (das Rassismusfass lassen wir jetzt mal zu.) Doch in Lanzhou: Keine Erklärung, keine Entschuldigung, keine Hinweise auf Hotels mit dieser magischen Ausländerlizenz. Man wird eher so rausgeworfen.
Auf dem Hinweg konnte ich noch ein Stehticket für den Nachtzug nach Dunhuang ergattern (juhu). Aber auf dem Rückweg musste ich in Lanzhou ausharren, bis am nächsten Tag der Flug ging.
Was macht man also als obdachlose Ausländerin, die nicht einfach am Flughafen schlafen kann? Jeder Chinareisende entwickelt für solche Situationen, die gelegentlich durchaus vorkommen, so eigene Strategien. Manche gehen in Discos oder Bars oder zum Karaoke. Manche hoffen auf nette Couchsurfing-Hosts, die spontan ein Schlafsofa zur Verfügung stellen. Manche machen es wie ich in Lanzhou und verbringen die Nacht bei KFC.
KFC ist in China beliebter als McDonald’s oder Burger King und in größeren Städten recht verbreitet. Und es hat in aller Regel 24 Stunden geöffnet, so auch am „Der Osten ist rot“-Platz in Lanzhou (auch die Namensgebung ist hier etwas altertümlich). Also habe ich eine Weile den dortselbst tanzenden älteren Herrschaften zugeschaut, anschließend bei KFC der Höflichkeit halber ein Softeis gekauft und es mir gemütlich gemacht. An den Nachbartischen schliefen ein Mädel, das anscheinend von ihren Eltern rausgeworfen worden war (so ganz ließ es sich nicht rekonstruieren) und ein Mann, der, kein Witz, behauptete, er wolle in einer Rakete auf den Mond fliegen. Ah ja.
Die zwei übernachteten wohl schon seit einer Weile hier und waren auch dem ebenfalls schläfrigen KFC-Personal bekannt. Der Monderkunder meinte, sie hätten schon versucht, ihn zu bestehlen, aber er hätte das immer verhindern können. Aha, denkt man sich dann als ausländische Heldin und ist froh um die Leibtasche, zu deren Verwendung einen seine ebenfalls reisefreudige Mutter erzogen hat. Mein persönlicher Tiefpunkt war aber, als ich gerade halbwegs auf meinem KFC-Stuhl eingeschlafen war und von dem Monderkunder mit „Erdbeben! Erdbeben!“ geweckt wurde. Also liefen er, die Ausreißerin und ich nach draußen, wo sich absolut nichts tat. Warteten eine Weile. Warteten noch länger. Er hätte, so der Monderkunder, genau gesehen, wie sich die Sprite in seinem KFC-Becher komisch gekräuselt hätte, was eindeutig bedeute, dass die Erde hier gleich rumsen würde. Die Ausreißerin blickte ziemlich genervt, anscheinend war es nicht die erste Aktion dieser Art vom Monderkunder. Wir sind dann doch reingegangen. Der Monderkunder erzählte stolz, dass seine Schwester ihn ohnehin bald abholen würde, eigentlich hätte sie schon vor Tagen hier beim KFC sein sollen, um ihn mitzunehmen. Seltsam, dass sie noch nicht hier war. Die Ausreißerin und ich hatten leider auch keine Erklärung parat, wo die Schwester nur stecken könnte. Dann schliefen wir wieder ein. Eine komische Nacht, das kann ich euch sagen.
Am nächsten Morgen dann fuhr ich mit dem ersten Shuttle zum Flughafen. Und das war Lanzhou.
Fazit
Naja. Empfehlen kann ich diesen Ort wirklich nicht. Aber Gansu ist wunderschön, da muss man durch Lanzhou im wahrsten Sinne des Wortes durch.
Eure KFC seither mit anderen Augen sehende Charlotte
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