Oder: Ein bisschen Yunnan-Geschichte

Liebe Leserschaft,

meine liebste Leserschaft! Wie ihr wisst, bastle ich gerade an einer neuen Bleibe für diesen Blog, was durchaus spaßig und lehrreich ist, aber auch etwas zeitaufwändig. Deshalb kam in den letzten Wochen die Schreiberei etwas zu kurz, aber nun juckte es mich doch mal in den Fingern, ein paar Zeilen zu Papier, oder besser gesagt: in die Weiten des Cyberspace, zu bringen.

Halt, werden da aufmerksame Blogleserinnen und -leser denken, schreibt die denn nicht noch was Anderes? Doch, doch, da wäre noch diese Masterarbeit, die den Großteil meiner Zeit in Anspruch nimmt. Das ist natürlich auch Schreiben, nur auf eine sehr unentspannte, eingeengte, geradezu erstickende Art und Weise. In einem der jüngeren Einträge nannte ich sie ein Biest. Das trifft es aber wohl nur so halb, treffender ist wohl der Vergleich mit einem Tamagotchi. Sie will regelmäßig gefüttert werden, denn sonst sterben erst ihre Gedankengänge und dann sie. Sie verlangt ständige Aufmerksamkeit und verfolgt einen eigentlich tagein, tagaus. Wenn man sie mal vernachlässigt hat, muss man das irgendwie in den Tagen darauf wiedergutmachen. Und man muss sie hegen und pflegen, sie wachsen und gedeihen lassen, und wenn bei ihr zwischenzeitlich mal Sch— äh, Mist rauskommt, muss man das sorgfältig entfernen und sich auf seltsame Art und Weise dafür schämen. Man hofft, dass sie es irgendwie schafft, eines Tages auf eigenen Füßen zu stehen, aber bis dahin stehen noch einige Fütterungen und Liebkosungen an.

Wie dem auch sei. Während ich hier im april(mai)wetterlichen Göttingen sitze, wandern meine Gedanken natürlich zu einer Stadt, mit deren Wetter G-Town echt so gar nicht mithalten kann: Kunming. Und so geht es heute um einen Ort in Kunming, den ich jedem, der dorthin fährt, nur ans Herz legen kann: Guandu Old Town (Guandu guzhen 官渡古镇).

Ein Wort zur Geschichte (aber wirklich nur eins)

Guandu wird heute von Kunming umschlossen, war aber vorher eine eigene Stadt in den Hügeln Zentralyunnans. Die Stadt hat ihre Ursprünge schon in der Zeit des Nanzhao-Königreiches und des Dali-Königreiches, als Guandu als temporäre Residenz der Adeligen aus der damaligen Hauptstadt Dali diente. Damals ein sehr fänciger Ort also. Doch die meisten heute noch stehenden Gassen und Gebäude stammen aus der Zeit nach der Eroberung Yunnans durch das chinesische Kaiserreich im 13. Jahrhundert.

Sehenswertes

Und die Gebäude Guandus sind durchaus interessant!

Der älteste Tempel Guandus stammt aus der Yuan-Dynastie, als die Kaiser Chinas Mongolen waren und Yunnan dem Kaiserreich einverleibten. Dieser Tempel heißt Miaozhan-Tempel (Miaozhan si 妙湛寺) und wurde ursprünglich 1295 fertiggestellt. Doch Anfang des 14. Jahrhunderts kam eine Überschwemmung, die den Tempel zerstörte, woraufhin dieser 1325 im Zentrum Guandus wieder aufgebaut wurde.

Vor dem Miaozhan-Tempel findet sich die Vajra-Pagode (Jin’gang ta 金刚塔) aus dem 15. Jahrhundert, die eines der frühesten architektonischen Werke des tibetischen Buddhismus in Yunnan darstellt. Wegen des weichen Untergrundes war sie im Laufe der Jahrhunderte abgesackt, wurde jedoch 2001 wieder auf die Höhe des Bodens hochgehoben.

Deutlich älter jedoch als der Miaozhan-Tempel und die Vajra-Pagode, mehr oder minder die Wahrzeichen Guandus, sind zwei andere Tempel: der kleinere Fading-Tempel (Fading si 法定寺) und der größere Tuzhu-Tempel (Tuzhu si 土主寺), die aus dem 8. Jahrhundert stammen.

Und das Essen! In Guandu kann man sich sehr gut durch einige Yunnan-Spezialitäten probieren, z.B. Ersi 饵丝 (eine spezielle Art von Reisnudeln), scharf gebratene Wasserschnecken und natürlich Baba 粑粑, so große Teigfladen mit verschiedener Füllung, z.B. Mohn, Erdnüssen oder Leinsamen. Einfach mal kosten!

Und…Touris?

Joar, gute Frage. Bislang hielt sich der Tourismus in Guandu eigentlich in Grenzen. Da dieser in Yunnan aber kräftig ausgebaut wird, und da Guandu sowohl vom neuen als auch vom alten Zentrum Kunmings leicht zu erreichen ist, ist es wohl nur eine Frage der Zeit, ehe busweise Touris angekarrt werden. Prinzipiell ist Tourismus ja auch nichts Schlimmes – wer Guandu zwecks Besichtigung aufsucht, ist Touristin oder Tourist. Aber die Masse macht es wohl, und die Art des Auftretens vor Ort. So oder so, versucht es einfach mal, und falls ihr wirklich total überrollt werdet, haltet euch an die Abendstunden.

Anfahrt

Guandu ist seit einigen Jahren mit der Kunminger U-Bahn erreichbar. Am besten fährt man zur Station Xingyao Lu (星耀路) bzw. Erji Lu (珥季路) und schlägt sich dann zu Fuß durch – einfach die Caiyun Beilu (彩云北路) nach Norden bzw. Süden, und biegt dann nach Westen auf die Yunxiu Lu (云秀路) ein, und geht immer am Wasser entlang, bis rechts die Guandu Old Town erscheint. Alternativ kann man auch eine Radtour daraus machen (ca. 12 km ab dem alten Zentrum Kunmings beim Jinma Biji Fang 金马碧鸡坊) oder, wenn man möglicherweise schon restlos entnervt ankommen will, das Kunminger Bussystem zu verstehen versuchen und irgendwie einen Bus der folgenden Linien ausfindig machen: 31, 165, 174, 185, 186, 232, 253, 255, 908, A12, C143, C85, D28, K15 oder K42.

Liebe Leserschaft, an welche Orte denkt, ihr, wenn es hierzulande grau und verregnet ist? Schickt eine Nachricht oder schreibt einen Kommentar!

Eure Tamagotchimama Charlotte