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im Sonnenaltar-Park (Ritan Gongyuan 日坛公园)

Peking ohne Eintrittskarten

Oder: Die Stadt ist groß und man kann viel erkunden

Liebe Leserschaft,

draußen ist es ein bisschen grau und mancherorts auch nass – was liegt da näher, als sich zurück in den letzten Sommerurlaub zu träumen?

Peking, 22.7.23: Unsere Heldin ist gestern frisch in der chinesischen Hauptstadt gelandet, hat es irgendwie vom Flughafen in ihr Hostel geschafft, um dortselbst glücklich ins Bett fallen. Nun ist sie aufgewacht und hört in etwa folgendes Gespräch von ihren zwei dormmates:

“So where are you off to today?”

“Yeah so I’ve booked the Forbidden City and the Temple of Heaven, then for tomorrow I’ve booked the Great Wall…”

“Sweet, I’ve got the Forbidden City booked for tomorrow as well, I couldn’t really figure it out at first but I think it worked!”

Warum reden diese Menschen mitten in der Nacht? Ein kurzer Blick auf die Uhr verrät: Es ist später Vormittag und der Jetlag haut einfach noch rein. Und – wovon ist hier überhaupt die Rede? Buchungen?!

Es stellt sich heraus: Man muss nun die Tickets für Pekings bekanntere Sehenswürdigkeiten im Voraus kaufen, und zwar inklusive Registrierung der Passnummer and allem Drumunddran. (Im Laufe der Reise wird sich herausstellen, dass dieses System auch für einige andere Städte gilt). Ist das Tageskontingent erschöpft, was in der Hochsaison natürlich schnell geschieht, muss man auf einen anderen Tag ausweichen. Vor fünfeinhalb Jahren, als unsere Heldin das letzte Mal in China war, war so vieles noch anders.

In dieser unserer gejetlaggeden Heldin, die sich natürlich im Voraus um so rein gar nichts gekümmert hatte, ruft das nun natürlich verschiedene Gefühle aus, doch am Ende setzt sich ihr innerer Freigeist durch. Sie entscheidet sich, Buchungen einfach Buchungen sein zu lassen und Peking ein bisschen aufzunehmen wie es ist, denn immerhin dafür braucht man keine Eintrittskarte und keine Reservierung. In den folgenden Tagen läuft sie also durch Peking, trifft zwei alte Freundinnen, isst jeden Tag lecker und genießt es, wieder in China zu sein.

Falls ihr, liebe Leserschaft, nun auch mal in die Verlegenheit geratet, Peking ohne im Voraus gebuchte Eintrittskarten besuchen zu wollen, könnt ihr euch mit dieser (natürlich alles Andere als abschließenden) Liste zu neuen Abenteuern inspirieren lassen:

1. Chinesisches Park Life im Sonnenaltar-Park

Park Life – wer findet die Musikgruppe? Und das Fotoshooting?

Egal, ob man zum ersten oder x-ten Mal in China ist: Ein bisschen Chillen in einem Park ist immer fein. Gerade für first-timers ist ein Nachmittag in einem Park ohnehin eine schöne Gelegenheit, ein bisschen ein Gespür für das Land zu entwickeln. Denn hier sind sie alle: Schülerinnen erledigen Hausaufgaben, Opis betreiben Taichi, Büroangestellte schlürfen Nudeln. An wenigen Orten geht People-Watching so gut wie in Chinas Parks. Es ist irgendwie schön, dass sich in den fünfeinhalb Jahren meiner Abwesenheit in dieser Hinsicht nichts verändert hat.

Blauer Himmel über dem Sonnenaltar-Park (Ritan Gongyuan 日坛公园)

Die meisten Pekinger Parks kosten ein paar Yuan Eintritt, aber viele kann man ohne vorher gebuchtes Ticket besuchen, so auch den Sonnenaltar-Park 日坛公园. Hier opferte vor knapp 500 Jahren der Kaiser der Sonne, heute befindet sich hier der Park mit im Pekinger Sommer Kühle spendenden Bäumen. Außerdem befindet sich hier das Grab von Ma Jun 马骏, einem offiziellen „Märtyrer der Revolution“ (außerdem Angehöriger der primär muslimischen Minderheit der Hui 回族).

Grab von Ma Jun 马骏

U-Bahn: Chaoyang Men 朝阳门, Jianguo Men 建国门, Yong’an Li 永安里, Dongdaqiao 东大桥

2. Spazieren durch Hutongs 胡同

Spaziergang durch einen Hutong 胡同

Hutongs 胡同 gehören zum Pekinger Straßenbild einfach dazu. Sie sind jahrhundertealte schmale Gassen mit niedrigen Häusern, die sich in einem Schachbrettmuster durch die Stadt strecken. Viele wurden im Laufe der Jahre abgerissen, einige renoviert und andere wiederum kommerzialisiert. In den ruhigeren Ecken kann man das (alte) Pekinger Leben ein bisschen erleben, Leute beim Gassigehen oder Kartenspielen auf der Straße beobachten oder in kleinen Buden leckere Snacks erstehen.

Der Ausdruck „hutong“ ist übrigens ein Lehnwort aus dem Mongolischen und stammt aus der Yuan-Dynastie (1279-1368), als die Mongolen über China herrschten (wichtig auch für die Yunnan-Fans: Während dieser Dynastie wurde Yunnan, das zuvor weitestgehend unabhängig war, von Kubilai Khan erobert und somit zu einem Teil des chinesischen Kaiserreichs). Der mongolische Ausdruck bedeutet wohl „Brunnen“, interessant ist aber auch, dass er das Zeichen hu 胡 enthält, das in aller Regel so etwas wie „ausländisch“ impliziert.

U-Bahn: Hutongs gibt es viele, einen netten Start bildet die Gegend nördlich der U-Bahn-Station Dongsi 东四. Wer die kommerzialisierte Variante erleben will (kann als Kontrastprogramm tatsächlich interessant sein), kann die Nanluoguxiang 南锣鼓巷 besuchen.

3. Essen! 

À propos kleine Snacks aus Buden: Das Pekinger Essen ist echt nicht schlecht! So als kleine (oder große) Alltagsfreuden bietet es sich an, einfach mal die Restaurants, Imbisse und Straßenstände der Stadt aufzusuchen, und sich einmal durch Peking zu snacken. Meine persönlichen Lieblingssnacks:

  • Nudeln mit Rindfleisch 牛肉面: schön deftig und irgendwo zwischen großem Snack und kleinem Hauptgericht
Nudeln mit Rindfleisch (niurou mian 牛肉面), immer ein Gewinn
  • Barbecue chuanr 串儿 / shaokao 烧烤 (Letzteres sagt man eher im Süden und ist daher auch mein Ausdruck dafür): Ob als Hauptmahlzeit oder als Snack für zwischendurch, ein paar Spieße mit Fleisch, Gemüse oder Tofu mit viel Gewürz gehen immer!
  • Jianbing 煎饼: mein Lieblingssnack, eine Art Crêpe
Ein Jianbing, noch nicht angebissen
  • Kandierter Weißdorn tanghulu 糖葫芦: gibt es auch mit anderem Obst
  • Peking-Joghurt 北京酸奶: erfrischend im heißen Sommer
  • Teigtaschen jiaozi 饺子: in allen Varianten, gebraten oder gekocht, mit Füllungen aus Gemüse oder Fleisch oder Ei, … auch hieran kann man sich sattessen oder eine kleine Portion für einen kleinen Hunger bestellen
Jiaozi! Gekocht und mit einer Füllung aus Ei und „jiucai 韭菜“ (chinesischer Schnittlauch)

Und das sind erst die Snacks! Gönnt euch auf jeden Fall auch Pekingente (Beijing kaoya 北京考鸭) und Lamb Hotpot (shuan yangrou 涮羊肉), das sind etwas teurere Hauptmahlzeiten, aber es lohnt sich!

4. Blick auf CCTV Headquarters 

Die 2012 fertiggestellte Sendezentrale des China Central Television (CCTV) ist wegen seiner markanten Architektur in China und im Ausland recht bekannt. Das Gebäude 234 m hoch und besitzt eine sehr interessante Form – zwei Türme, die irgendwie in einer Art Schlaufe miteinander verbunden sind.

Blick auf die CCTV Headquarters

Das Gebäude selbst zu besichtigen scheint wohl eher schwierig (?), aber viel lohnenswerter ist ohnehin der Blick von außen, und den bekommt man am besten (wie eigentlich immer bei sowas) vom Dach des Gebäudes gegenüber. In diesem Fall: von der Shoppingmall Guomao Shangcheng 国贸商城。Es ist vor allem abends ein wirklich beeindruckender Anblick, und überhaupt sind nächtliche Stadtlichter ja genau mein Ding. Wer noch ein paar Yuan in der Tasche und eine kleine Portion Glück an seiner Seite weiß, kann einen Fensterplatz in einem der Restaurants der Mall ergattern und das Gebäude beim Abendessen betrachten.

Wiedersehen nach langer Zeit

Auf die CCTV-Idee wäre ich wahrscheinlich auch nicht ohne eine Pekinger Freundin gekommen, die ich noch von der Language Corner in Nanjing kenne und die jetzt zurück in ihrer Heimatstadt arbeitet. Es waren wieder fünfeinhalb lange Jahre vergangen, das Wiedersehen dafür aber umso schöner.

U-Bahn: Guomao 国贸

5. Menschen

Überhaupt: Leute treffen. Das war ohnehin immer wieder ein Highlight auf dieser Reise. Mein allererstes Wiedersehen in Peking war mit einer Kommilitonin vom Institut in Nanjing. Wir waren ein bisschen spazieren und haben bei ihr zu Hause gegessen. Und uns über Uniabschlüsse, den ersten Job, den zweiten Job und überhaupt das Life unterhalten und dabei festgestellt, dass bei uns vieles parallel gelaufen ist.

Abendessen zu Hause

Von daher wäre mein letzter Tipp: Überlegt, wen ihr in Peking kennt, oder überhaupt in China, und schreibt sie mal freundlich an.

Und so ließ sich Peking sehr schön gestalten, auch ohne irgendwelche vorgebuchten Eintrittstickets, wahrscheinlich sogar noch schöner als in einem Touristenstrom durch die Verbotene Stadt geschoben zu werden. Es war eine Freude, zurück zu sein, und gleichzeitig eine kleine Aufladestation gegen den Jetlag und für das Kräftesammeln für die kommenden Wochen der Reise durch China und Taiwan.

Ich hoffe, das war ein interessanter Einblick in die Tage in Peking und vielleicht auch eine kleine Erinnerung daran, dass die beliebten Touri-Spots nicht immer auch die besten sind. Ich bin wirklich niemand, der Reisen grundsätzlich ausnahmslos jenseits der ausgetretenen Pfade betreibt (solche Leute sind oft etwas anstrengend…), aber wenn man ein bisschen Ruhe genießen möchte, bietet sich ein solches Vorgehen vielleicht doch an.

Eure mittlerweile vor einer nicht mehr grauen Fensteraussicht sitzende Charlotte


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