Oder: Gibt’s bei euch nich‘
Chinesischunterricht an chinesischen Universitäten besteht nicht nur, aber zum großen Teil aus dem gemeinsamen Durchgehen umfangreicher Vokabellisten, deren Inhalt nicht in allen Fällen sonderlich nah am wirklichen, praktischen Leben liegt. Reihum obliegt es dann den Studenten, einen Satz mit dem neu gelernten Wort zu bilden. Kein Lehrer lässt Gnade walten, wenn einem partout kein schöner Satz einfällt, obgleich sich der Sinn des Wortes jedem erschlossen hat, egal wie lange die Klingel zur Pause her ist oder wie still es im Klassenraum geworden ist. Es klingt sehr simpel, aber wenn man es eine Weile am Stück betreibt, ist es geradezu ermüdend, zumal mit voranschreitendem Niveau Sätze à la „Ich mag (beliebiges Substantiv)“ oder „Er/Sie ist (beliebiges Adjektiv)“ erstens peinlich und zweitens nicht erlaubt sind, soll heißen: Es muss ein Kontext her.
Dankbare, recht umfangreiche Themenkomplexe für den Beispielsatz gibt es einige, z.B. Umweltschutz, Bildungssysteme oder Drogen (man entwickelt mit der Zeit in der Hinsicht seine „Steckenpferde“), aber es lässt sich nicht alles in diese Zusammenhänge einbetten und allzu offensichtlich darf es natürlich auch nicht werden. Das A u O aber bleibt: Sage deinen Satz, sonst hast du es ganz offensichtlich nicht verstanden.
In diesem Fall ging es um das Sprichwort fu yan liao shi 敷衍了事, was so viel wie „etwas halbherzig oder ungenau erledigen“ bedeutet. Lehrerin Wang, eigentlich ein sonniges Gemüt, hat sich bislang immer von ihrer strengen Seite gezeigt, wenn es um die berühmten Beispielsätze geht, die jeder bilden muss. Nicht so dieses Mal.
Lehrerin Wang: Nun bildet jeder einen Satz mit „fu yan liao shi 敷衍了事“.
Deutsche Studentin: (denkt sich: Ach du dickes Ding. „Man darf den Umweltschutz nicht halbherzig angehen“? Nicht lang genug. „Das chinesische Bildungssystem fördert eine Einstellung, bei der man Dinge halbherzig erledigt“? Nicht logisch genug. Drogen? Keine Ahnung. Mal sehen, was die anderen sagen….)
Stille. Draußen zwitschert ein Vogel.
Lehrerin Wang: Wir fangen mal bei Xialuote an.
Deutsche Studentin: Ääääh…..fu yan liao shi… mmmjjaa…mir fällt gerade noch nichts ein….
Lehrerin Wang: (legt den Kopf schief, scheint zu überlegen.)
Deutsche Studentin: Ich denke noch mal ganz kurz nach…
Lehrerin Wang: Ach, ich weiß, was das Problem ist. (lächelt) Alles gut. Du bist aus Deutschland, und in Deutschland macht ihr nichts halbherzig, ihr seid alle sehr gewissenhaft und gründlich. Natürlich fällt dir dazu kein Beispiel ein. (verständnisvolle Miene)
Deutsche Studentin: Ääääh…ja, genau?? (Ist sie gerade Lehrerin Wang entkommen?)
Lehrerin Wang: Gut, dann jetzt die anderen. Luoyimeng, was ist dein Satz?
Schwein gehabt.