Oder: Kleine Planänderung
Ausländische Heldin: (Ist seit einigen Wochen in Yunnan unterwegs und befindet sich heute auf einer sehr coolen Tour über die Dörfer der christlichen Ecke dieser Provinz, deren Route sie lange ausgetüftelt hat: Tanglang, Shuanghua, Dasong, dann mal sehen. Die erste Station der Reise, Tanglang, hat ihr auch sehr gut gefallen. Begibt sich also guter Dinge zum Busfahrer, der im Bus räufelt, den er soeben gefahren ist.)
Ausländische Heldin: Nihao, wann fährt hier der Bus nach Shuanghua?
Busfahrer: Morgen früh um sieben.
Ausländische Heldin: Ah, ok, und nach Dasong?
Busfahrer: Morgen früh um sieben.
Ausländische Heldin: Ahja, und nach…äh, fahren hier heute überhaupt noch Busse?
Busfahrer: Nein. Morgen früh um sieben wieder.
Die ausländische Heldin bedankt sich und begreift: Sie steckt fest. In Tanglang, einem Dorf mit sage und schreibe drei Straßen.
Also, was tun? Erstmal was essen. Zeit ist ja jetzt.
In China sind Essensgelegenheiten auch eigentlich nie weit, auch nicht in verschlafenen Nestern wie Tanglang. Und so bestellt sich die ausländische Heldin etwas Feines bei der nächsten Essensbude und löchert, während draußen ein wildes Feuerwerk gestartet wird (in Deutschland geht es beim Feuerwerk ums Sehen, in China aber ums Hören und das Vertreiben böser Geister durch den Krach – sehr beliebt also an Festen, Feiertagen, Geschäftseröffnungen usw.) die Betreiberin der Bude bezüglich der Verkehrsanbindung Tanglangs. Fazit: Morgen früh um sieben. Aber die Dame kann ein Hotel empfehlen, das Haolaiwu-Hotel, also: das Hollywood-Hotel.
Etwas zerknirscht ob der plötzlichen Unerreichbarkeit der Kirchen um Luquan, die bestimmt ein ziemlich cooler Blogeintrag geworden wären, verlässt die ausländische Heldin das Lokal und beschließt, das Hollywood-Hotel zu suchen, weit kann es ja nicht sein. Bis morgen früh um sieben hängt sie in einem dreisträßigen Dorf fest. Das war so nicht der Plan. Reisen macht…was doch gleich? Spaß?
Doch dann! Erscheint der eigentliche Held dieses Yunnan-Abenteuers.
Ein Auto fährt vorbei, parkt ohne erkennbares System irgendwo am Straßenrand, und heraus stolpert ein pummeliger Mann Mitte dreißig, mit der Riesensonnenbrille etwas Psy (Gangnam Style) ähnelnd, aufgeregt wie sonstwas und ebenso betrunken. „Nihao, nihao!!! Herzlch willkomm‘!! Nenn—nenn mich Mister Biao.“ Es folgt ein unbeholfenes Händeschütteln, das Mister Biao wohl irgendwie im Fernsehen gelernt haben muss. Englisch kann er nicht. „Da vorne…mein Freund hat ge—geheirat‘!!! Komma mit!“
Und so begann ein ganz wunderbarer Nachmittag, den die ausländische Heldin mit Mister Biao, dem Bräutigam (aus Tanglang), der leicht überfordert dreinblickenden Braut (nicht aus Tanglang) und jeder Menge Verwandtschaft und Freunden des Brautpaars verbringt. Es gibt viel Essen, viel Feuerwerk und viel Schnaps, von dem sich die ausländische Heldin mit dem Satz „In Deutschland trinken wir mehr Bier“ fernhält. Dazu trällert Mister Biao sein Lieblingslied „Lasst uns uns betrinken“ und stellt der ausländischen Heldin dreimal die tapfer lächelnde Braut, ebenfalls eine ziemliche Heldin, vor.
Dieses Foto zeigt Mister Biao und seine…Nichte? Sie war jedenfalls ziemlich frech. Unsere ausländische Heldin trägt dem feierlichen Anlass entsprechend ihre Fake-Jack-Wolfskin-Hose, Mister Biao Flipflops.
Als ob die ausländische Heldin noch einen Hinweis gebraucht hätte, dass heute in Tanglang nichts mehr fährt, findet die Hochzeitsfeier im Busbahnhof von Tanglang statt. Charmante Location. Nach dem Essen gibt es Flötenmusik der Yi, einer ethnischen Minderheit Yunnans. Im Hintergrund des Fotos zeigen Kennzeichennummern der Busse, welcher Bus wo parken soll – heute ist es alles leer.
Irgendwann wird verkündet, dass sich die Hochzeitsgesellschaft nun für ein paar Stündchen zurückziehe und es dann abends zum Karaoke gehe, der uralten Tradition chinesischer Hochzeiten entsprechend. Die ausländische Heldin sieht dies als idealen Moment gekommen, sich abzuseilen. O-Ton:
Mister Biao: Wo wohnssu eigentlich hier?
Ausländische Heldin: Im Hotel da hinten.
Mister Biao: Ahaa. ‘Chhab ne Idee. Kennssu…das Bluuummer? Von Tanglang.
Ausländische Heldin: Verzeihung, das was? Wahrscheinlich nicht, nein. (muss sich sehr konzentrieren, um den lallenden Mister Biao zu verstehen).
Mister Biao: (holt ganz tief Luft) das…Bluumeeenmeeer. Das‘ hübsch. Wir könn da hinfahrn. Echt hübsch.
Ausländische Heldin: Ich bin ein bisschen müde. Aber ein andern Mal gerne!
Mister Biao: ‘Chweiß grade garnich, woch eingtlch mein Auto geparkt habe. Weissu das? (grübelt)
Ausländische Heldin: Nein…leider nicht. (vor dem Restaurant, wo du mir die Hand geschüttelt hast). Aber vielen Dank, dass ich zur Hochzeit mitkommen durfte.
Mister Biao: Sei nichso höflich! Ich such mals Auto. (kramt irgendwie seinen Schlüssel hervor und drückt immer wieder auf die Aufschließtaste, während er den Schlüssel wild in alle Himmelsrichtungen hält.)
Ausländische Heldin: Tja dann…ich werd‘ dann mal.
Im Hollywoodhotel checkt die ausländische Heldin ein, legt sich auf ihr Bett und denkt darüber nach, wie hilfsbereit und freundlich doch die Tanglanger, allen voran natürlich Mister Biao, so seltsam er auch ist, sind. In Deutschland kämen wohl die wenigsten auf die Idee, auf dem Weg zu einer Hochzeitsfeier wildfremde Menschen aufzugabeln und dorthin einzuladen.
Es klopft. Das muss ein Fehler sein, denkt sich die ausländische Heldin, wer sollte sie hier suchen?
Doch sie öffnet die Tür und dort steht – Mister Biao. Ach China, deine Hotelrezeptionistinnen und der Datenschutz, naja.
Ausländische Heldin: Oh…hallo Mister Biao.
Mister Biao: (hält triumphierend die Autoschlüssel hoch): Chabbsgefun! (räuspert sich) Ichhab das Auto gefunn‘.
Ausländische Heldin: Das ist ja toll.
Mister Biao: Fahrn wir zum Blumnmeer?
Ausländische Heldin: Oh, äh, das ist jetzt wohl keine gute Idee. Ich bin etwas erschöpft. Und…Mister Biao, vielleicht solltest du dich auch etwas ausruhen.
Mister Biao: Es is echt hübsch da, beim Blummeer.
Das Gespräch geht eine Weile hin und her, doch als die ausländische Heldin Mister Biao hoch und heilig schwört, bei ihrem nächsten Besuch in Tanglang Mister Biao bei Weixin zu schreiben und sich auf jeden Fall das Blumenmeer anzusehen, ist dieser beruhigt und stolpert irgendwie wieder aus dem Hotel hinaus.
Und das war Tanglang. Spannende Aktion.
Am nächsten Morgen, natürlich um sieben, bricht unsere ausländische Heldin gen Luquan auf. Das mit den anderen Kirchen hat sich nun irgendwie erledigt, und Mister Biao und die unverhoffte Hochzeitsfeier kann man irgendwie auch nicht mehr toppen. In diesem Sinne war es auch echt ein gebührender Abschluss einer ziemlich schönen Yunnan-Reise.
Eure Hochzeitscrasherin Charlotte