Oder: Bäume feiern, wie sie fallen.
Liebe Leserschaft,
seid gegrüßt in seltsamen Zeiten. Wie geht es euch in der Coronaepidemie? Ich hoffe es ist alles in Ordnung bei euch, wo auch immer ihr gerade so seid (ich hoffe in den eigenen vier Wänden).
Meiner Perucoronastory muss ich irgendwann mal in einen eigenen Eintrag schenken, das lässt sich wirklich nicht in das Vorgeplänkel eines anderen Blogbeitrags zwängen. Aber seid gewiss, es geht mir gut. Vielleicht weil all das kalte Duschen mein Immunsystem doch irgendwie gestärkt hat.
Ich weiß nicht, wie es bei euch ist, aber ich male mir jetzt schon aus, was ich mache, wenn das hier alles überstanden ist – wahrscheinlich ein paar Menschen in den Arm nehmen und außerdem in Cafés, Bars, Kneipen, Restaurants und Imbisse gehen. Möglicherweise auch zeitgleich.
Doch bis dahin müssen Erinnerungen an eher unbeschwerte Tage herhalten, Tage, an denen es ganz normal war, unter Menschen zu gehen, zusammen zu tanzen, zu essen, zu feiern. Und soll unser heutiges Thema sein: Feiern in Peru. Spoiler, es ist anders als in Deutschland und trotzdem gleich. Also los.
Polladas
Unsere Geschichte setzt an einem friedlichen Sonntagnachmittag in Jaén ein. Die Radiofreiwillige (ich) widmet sich ihrer Wäsche, was ohne Waschmaschine doch ein gewisser Akt ist, sortiert sie irgendwie, kramt das Waschpulver hervor und greift nach ihrem Handy, um eine Podcastfolge als Beschäftigung für die kommende…Stunde? rauszusuchen. Da entdeckt sie eine WhatsApp-Nachricht von einem compañero vom Radio – GOTT SEI DANK, denn sie hatte schon befürchtet, jetzt tatsächlich waschen zu müssen. Schwein gehabt.
Es entspinnt sich das folgende Gespräch:
Hola Charlotte, wie geht’s?
Alles gut hier, habe gerade Mittag gegessen und davor Yoga gemacht. Was machst du?
Refrescando la garganta.
Also: die Kehle erfrischen. Zur visuellen Untermalung folgt ein Foto einer Flasche Bier, nicht dass der Eindruck entsteht, das Erfrischen geschähe mit Cola oder Saft.
Wir spulen ein Stündchen vor: Die Radiofreiwillige findet sich auf einer pollada wieder. Wie ist sie hierhin geraten? Keine Ahnung. Eigentlich wollte sie waschen.
Was also ist eine pollada? Gehen wir mal vom Wort selbst aus: pollo bedeutet Huhn. Auf einer pollada werden Essen und Trinken verkauft, wobei die Einnahmen als Spenden für einen guten Zweck dienen. In diesem Fall ging es um die medizinischen Behandlungskosten für eine Angehörige der Organisatoren der pollada. (Ein paar Wochen später war ich auf einer pollada für lokale Rockbands, es gibt also polladas verschiedener Art). Man kann also sein Hühnchen mit Reis essen, sein Bierchen dazu schlürfen, und ab einer gewissen Uhrzeit wird getanzt, denn wie immer gibt es Musik. Hay música.
Ob polladas auch in Deutschland beliebt wären, wurde ich auf der Feier für die Dame im Krankenhaus gefragt. Öhm. Nein, also…so etwas haben wir nicht, habe ich dann irgendwie erzählt, zumindest nicht in dieser Form. Für Medizinisches sei man in aller Regel versichert, auch wenn es da Ausnahmen gibt. Ansonsten gäbe es Flohmärkte oder in der Schule den Waffelverkauf. Also versuchte ich, und ich hoffe es gelang so halbwegs, den Blick darauf zu lenken, dass dieser Gemeinschaftssinn ja irgendwie schön ist. Jemand aus der Familie ist im Krankenhaus, aber die amigos und die amigas und deren amigos und amigas und die ausländische amiga vom amigo vom amigo der amiga sind irgendwie am Start und leisten Beistand, und erfrischen so ganz nebenbei und ganz selbstaufopferungsvoll ihre gargantas. Auf großer Skala haben wir das in Deutschland ja auch: Saufen für den Regenwald, wie man so schön sagt.
Einen Tag später stellte sich übrigens heraus, dass auch mein compañero den Ausrichter der pollada nicht kannte.
Kindergeburtstag
Ein Wort, das bei vielen Eltern ein gewisses Gefühl der Erschöpfung hervorzurufen vermag. Nicht überall auf der Welt werden Geburtstage gefeiert, aber in Peru auf jeden Fall. Und auch peruanische Kinder freuen sich auf ihren Ehrentag, es gibt Kuchen und Lieder und ein paar Geschenke.
Also eigentlich genau wie in Deutschland, dachte sich unsere (metaphorisch) blauäugige Radiofreiwillige, als sie eine Einladung für den siebten Geburtstag des Sohnes einer compañera vom Radio erhielt. Allein DASS sie auf dieses Fest eingeladen wurde, hätte sie im Nachhinein verwundern sollen, schließlich ist sie doch eher weniger im Kindergeburtstagsalter, aber stutzig wurde sie dann doch, als auf ihre Frage, wann die Party denn begänne, die Antwort erhielt: Sieben Uhr.
Sieben Uhr…abends? In der Tat. Und so war es dann auch eine richtige Fiesta. Es lief ordentlich Musik (hay música, man kennt’s), gab leckeres Essen und schmackhafte Torte, Geschenke, Gäste aller Altersklassen und einfach eine sehr heitere, sehr gesellige Stimmung. So gegen Mitternacht hin sinniert die ausländische Heldin über ihre immer sehr schönen Geburtstage als Kind sowie über das deutsche Konzept von Kindergeburtstagen, deren irgendwie oft pädagogisch wertvolle Komponente, sowie über das Glück deutscher Eltern, zu einer Uhrzeit die Aktion über die Bühne gebracht zu haben, zu der peruanische Eltern erst loslegen. Da überkommt sie eine bleierne Müdigkeit, aber jetzt darf man natürlich schlappmachen. Sie versucht sich weiterhin am Smalltalk mit der Großmutter des Geburtstagskindes, der eigentlich halbwegs glatt läuft. Um sie herum kreischen Kinder, streiten sich, vertragen sich, machen irgendwie Unsinn, aber auch die Eltern scheinen sich prächtig zu amüsieren. Läuft doch.
Yunza
Als dritte Form des Feierns schauen wir uns noch die Yunza an. Die ist nämlich der helle Wahnsinn. Keine Krankenkasse dieser Erde würde für ihre Folgen aufkommen, da bin ich mir sicher.
Die Yunza ist ein Brauch, der es in sich hat. Hierfür wird ein Baum gefällt, mit kleinen Geschenken behängt und anschließend an anderer Stelle wieder aufgestellt. Dann geht es los. Es spielt Musik, die Yunza-Abenteurer tanzen um den Baum herum. Neben dem Baum liegt eine Machete, die jeder Teilnehmer benutzen kann, um einmal in den Stamm des Baumes zu hauen, ihn so gesehen ein zweites Mal zu fällen.
Zunächst schwankt also der Baum, es entsteht so ein bisschen diese spezielle Art der Spannung, die sonst eigentlich nur Spiele wie Jenga hervorrufen können. Skeptische bis aufgeregte Augen mustern den Baum ganz genau – wie lange das wohl noch hält? Er wackelt ein bisschen, wiegt sich hin und her, unter den erwartungsvollen Blicken der Yunza-Truppe. Irgendwann fällt er dann und wie auf Knopfdruck bricht Chaos aus. Denn nun ist der Moment gekommen, eines der begehrten Geschenke zu ergattern, und zwar unter Einsatz von Leib und Leben. Ich habe zwei Yunzas erlebt, beide auf fiestas campesinas, und dieser Teil der Yunza war doch etwas haarsträubend (aber cool). Es geht hier wirklich drunter und drüber. Auf faszinierende Art und Weise sieht man eigentlich nur Menschen zum gefallenen Baum hin strömen, und irgendwie unter?? ihnen kommen dann all jene wieder hervor, die ein Geschenk erkämpfen konnten. Bei der Yunza, so scheint es, endet der dörfliche Gemeinschaftssinn: Yunza ist Kampf. Yunza ist Ellenbogengesellschaft in ihrer reinsten Form. Yunza weckt irgendeinen Instinkt in einem, der einen daran erinnert, dass sich jeder selbst der Nächste ist. Und jetzt schnapp dir dein Geschenk.
Die Ursprünge der Yunza sind nicht ganz geklärt. Manche sehen in ihr eine Form der Verehrung von Pacha Mama, der Göttin der Erde also. Andere eine Feier der Sommersonnenwende. Wieder andere peruanisch-europäischen Synkretismus.
Und einige Behörden identifizieren sie als Gefahrenquelle, und so ist die Yunza mancherorts mittlerweile verboten. Ich kann wirklich beide Perspektiven verstehen: Yunza ist Kultur und Tradition, sie macht Spaß, sie kann gar eine religiöse Komponente haben. Yunza ist aber auch echt nicht ohne. So unter Gesichtspunkten wie Sicherheit und Gesundheit kommen doch einige Bedenken auf. Ich bin grundsätzlich dafür, im Ausland Sachen auszuprobieren, doch es ist auch wichtig, die eigene Grenze zu kennen, und, vielleicht noch wichtiger, die Grenze zwischen Mut und Wahnsinn, denn beide gehen oftmals Hand in Hand. Yunza kombiniert allerdings ohnehin beides.
Wer ist hier feierwütig?
Es wäre jetzt leicht zu sagen: „Ach, Peru. Immer feiern sie dort. Sie könnten doch einfach mit einer Spendenbüchse umherziehen, ihren Kindern den Wert der Stille am Geburtstag beibringen, Geschenke verteilen, die man einfach so erhält, ohne irgendwelche halsbrecherischen Manöver um einen doppelt gefällten Baum vornehmen zu müssen. Stattdessen wird daraus eine Fiesta. Überhaupt machen sie aus allem eine Fiesta. Immer.“ Also wirklich.
Aber damit macht man es sich zu leicht. Und man wird der Sache nicht gerecht, man verdreht manches, weil man nicht in den eigenen Spiegel schaut. Was feiern wir in Deutschland? Sicher, Weihnachten, Ostern, manche Geburtstage. Alles unspektakulär? Naja. Ich erinnere an dieser Stelle mal an das Konzept der Petersilienhochzeit oder des Richtfestes. Hier könnte man genauso sagen: „In Deutschland feiert man aber auch alles. Zwölfeinhalb Jahre Ehe. Ein halbfertiges Haus. Sonst noch was?“ Oh ja, sonst noch was. Allein im Umkreis meines Heimatortes in Sturmfestunderdverwachsen gibt es jährlich das Dreschefest, das Kartoffelfest und das Zwiebelfest. Nur mal so.
Ist man in Peru zun feierwütig, ist man es in Deutschland? Vielleicht müssten wir es mal aus einer anderen Perspektive sehen. Menschen feiern einfach gerne. Sie verleihen ihrer Freude Ausdruck, sie mögen es, zu tanzen, zu lachen, sich des Lebens zu freuen. Dieses Bedürfnis wird sich immer seinen Weg bahnen und sich in die diversen Feierlichkeiten, die man in mal mehr, mal weniger begrenzten geographischen Räumen so antrifft, kanalisieren. Denke ich zumindest.
Liebe Leserschaft, was feiert ihr gerne? Und welche Feste kennt ihr so aus den verschiedenen Ecken der Welt?
Eure Yunzas lieber aus der Ferne genießende Charlotte
PS: Noch mehr Feierstorys aus Peru gefällig? Hier geht es zum Artikel über Weihnachten und Silvester.