Oder: Zwölf Stunden in Litauens ehemaliger Hauptstadt
Liebe Leserschaft,
im vorletzten Artikel ging es darum, wie man über Land und Wasser von Deutschland nach Marokko und wieder zurück fährt. Der heutige knüpft in gewissem Sinne an diesen Eintrag an: Es geht um eine weitere Reise ohne Flugzeug (denn vor dem Fliegen habe ich Angst), und zwar von Deutschland nach Lettland. Genauer gesagt: Um einen ziemlich genau zwölfstündigen Aufenthalt im litauischen Kaunas auf der Durchreise zwischen diesen zwei Ländern.
Die Vorgeschichte des Zwischenstopps
Wie es dazu kam, ist eigentlich schnell erzählt. Über die Uni, an der ich arbeite, gibt es die Möglichkeit an einer Staff Week an einer anderen Uni im europäischen Ausland teilzunehmen. Das Ganze umfasst dann Workshops, Vorträge und Social Events mit vielen anderen Menschen, die ebenfalls an Universitäten in Europa arbeiten, und wird über Erasmus+ gefördert. Das Format hätte eigentlich einen eigenen Eintrag verdient, daher an dieser Stelle nur so viel: sehr empfehlenswert! Man lernt eine andere Uni und viele Menschen, die auch an Unis arbeiten, kennen, und erweitert den eigenen Wissensschatz enorm.
Ich hatte mich also für die University of Latvia in Riga entschieden und stand dann irgendwann vor der Frage – wie komme ich eigentlich da hin? Fliegen war keine Option und nach einigem Hinundher wurde es dann – good old Flixbus. (Für den Rückweg bin ich dann übrigens tatsächlich in ein Flugzeug gestiegen – Termine und so. Ich war danach aber auch echt ganz schön k.o.). Die Route lief von Berlin nach Kaunas mit einer Ankunft um 5.45 Uhr morgens, von dort dann um 18 Uhr weiter über die nächste Grenze nach Riga. Natürlich hätte es auch eine durchgehende Verbindung gegeben, aber wenn es schon die Chance gibt, mal so eben en passant eine neue Stadt in einem neuen Land zu erleben…warum denn nicht. Daher hier nun eine kleine Übersicht dessen, was man an einem Tag in Kaunas, mit 300.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Litauens, so schaffen kann.
Die Ankunft
Ankunft in Kaunas war also Viertel vor sechs morgens, aber dank der aktuell hellen Jahreszeit immerhin nicht im Dunkeln. (Wie ich generell im Laufe dieser ganzen Reise feststellte, ist zumindest vom Gefühl her das Baltikum recht sicher). Die Müdigkeit enorm, die Vorfreude aber ebenso.

In der Nähe des Busbahnhofs befindet sich der (Zug-)Bahnhof, wo man praktischerweise das Gepäck gegen einen kleinen Obolus einschließen kann. Hände frei und auf ins Abenteuer!
Die Altstadt
… das dann irgendwie zunächst auf sich warten ließ. Denn Kaunas ist, wie ich feststellen musste, um sechs Uhr früh dann doch eher….ruhig.
Mit dem Bus ging es in die Altstadt und dort wurde mir wieder präsent, was ich an der Reiserei unter anderem so liebe: zu sehen, wie ähnlich wir doch alle letztlich sind. In diesem Falle war in Kaunas echt gar nichts zu beobachten, bis auf die letzten Züge eines Abiballs (?): die Damen in Abendkleidern und mittlerweile unbequemen High Heels, die Herren in Anzügen, aus deren Taschen die Enden von Krawatten lugten. Lachen und letztes Anstoßen und nicht mehr so ganz sitzende Frisuren. Man wartet auf Taxis und ist dann peu à peu verschwunden. Und die Altstadt von Kaunas ist wieder leer und recht still, und das einzige Zeichen von Leben sind ein paar Tauben und eine sich auf einmal irgendwie etwas alt fühlende Teilnehmerin einer Erasmus Staff Week.

Doch zurück zum Thema. Allen, die im Morgengrauen Kaunas erreichen, kann ich nur raten: Bus in die Altstadt nehmen und dort etwas spazieren. Es ist wirklich sicher und Foto-Affine bekommen so die besten Schnappschüsse einer erwachenden Stadt.
Was gibt es beim Spazieren durch die Altstadt also zu sehen?
- Kathedrale: Die katholische Kathedrale St. Peter und Paul ist wirklich sehenswert. Ein Blick ins Innere lohnt sich sehr, denn von innen ist sie wirklich prächtig, auch mit vielen barocken Elementen.

- Rathaus und St. Franziskus Xaverius: Unweit der Kathedrale befindet sich der Rathausplatz mit dem Rathaus (auch „Weißer Schwan“ genannt) und der Jesuitenkirche St. Franziskus Xaverius (St. Franz-Xaver-Kirche). Als Ensemble durchaus sehenswert, wobei zum Zeitpunkt meines Besuchs der ganze Rathausplatz eine Baustelle war…

- Perkūnas-Haus: ein spätgotisches Bürgerhaus, in dem sich (vermutlich) im 15. Jahrhundert die Händler der Hanse, die sich bis ins Baltikum erstreckte, trafen.

- Frühstück!!: Zu diesem Zeitpunkt meines Rundgangs hatte dann endlich, endlich, endlich das erste Bistro in der Altstadt geöffnet und es war Zeit für die erste Mahlzeit des Tages.

- Standseilbahn Aleksotas: Kaunas verfügt über zwei Standseilbahnen, von denen eine auf der von der Vytautas-Magnus-Kirche aus gesehen gegenüberliegenden Seite der Memel beginnt. Die Standseilbahn wurde in den 1930ern gebaut, um den Weg von den Außenbezirken in die Innenstadt zu verkürzen. (Als ich dort war, war die Seilbahn geschlossen – übrigens ein wiederkehrendes Thema dieses Aufenthalts, wohl weil es ein Sonntag war).

- Wise Old Man: Street Art! Dieses Wandgemälde stellt Jurgis Mačiūnas dar, den Vater der Fluxus-Bewegung (und Weggefährte von Joseph Beuys), der später als George Maciunas in die USA ging.

- Burg Kaunas: eine der Hauptsehenswürdigkeiten Kaunas‘ ist die im 14. Jahrhundert errichtete Burg – noch vor der Blütezeit im Rahmen der Hanse. Um die Burg herum führt ein hübscher Park, der – Achtung, Reiseführer-Sprech – zum Flanieren einlädt.

- Mittagessen! Sehr wichtig. In der Altstadt befinden sich einige litauische Restaurants. Bei mir gab es einen sehr leckeren Eintopf und danach mit Hackfleisch gefüllte Klöße.

Die Neustadt
- Kirche St. Gertrud: eine sehr niedliche Kirche, wie so viele Gebäude in Kaunas aus rotem Backstein.

- Laisvės alėja: Die Kirche St. Gertrud liegt an der Laisvės alėja (Freiheitsallee), also der Fußgängerzone Kaunas‘. Mit 1,6 km ist sie die längste Fußgängerstraße Osteuropas (muss gestehen, das nicht factgecheckt zu haben).

- Yard Gallery (Kiemo Galerija): noch mehr Street Art! In diesem Innenhof hat der Künstler Vyteniy Jakas eine Freiluft-Kunstgallerie ins Leben gerufen, in der durch Kunstwerke der ehemaligen, vorwiegend jüdischen Bewohner dieses Viertels gedacht wird.

- Teufelsmuseum: Kaunas verfügt über zahlreiche Museen, die man bei einem zwölfstündigen Besuch wohl größtenteils überspringen muss, auch wenn es schwer fällt. Eines habe ich mir dann aber doch gegönnt: das Teufelsmuseum mit einer sehr umfangreichen Sammlung von Teufelsfiguren sowie vielen Infos und Denkanstößen zum immer wieder spannenden Thema „Was ist das Böse? (Und was das Gute?)“.

- Kirche Christi Auferstehung: etwas ab vom Schuss, aber definitiv einen Besuch wert (auch wenn der Weg arg bergauf geht). Man kann über eine Treppe oder mit einem Lift auf eine Terrasse oben auf der Kirche fahren und von dort die Aussicht über Kajnas genießen, was ich echt cool fand. Die Kirche wurde bereits 1940 fertiggestellt, durfte aber während der Sowjetunion nicht geweiht werden. Somit ist sie erst seit 2004 in Betrieb.

- Moschee: Unweit der Kirche Christi Auferstehung steht die Moschee von Kaunas. Die ersten Muslime der Stadt waren Tataren, deren Friedhof sich hier ab dem 15. Jahrhundert befand.

- Kirche des Erzengels Michael (=Garnisonskirche). Diese Kirche liegt am Ende der Laisvės alėja und wurde für die Ende des 19. Jahrhunderts, als Kaunas russisch war, ür die in Kaunas stationierten Soldaten errichtet.

- Sugihara-Haus: Während des 2. Weltkriegs verhalf der japanische Konsul Chiune Sugihara mehreren tausend jüdischen Familien aus Kaunas zur Flucht nach Curaçao, indem er ihnen Transitvisa für Japan ausstellte, entgegen der Dienstvorschriften. Das ehemalige japanische Konsulat dient heute als Museum für Sugihara (und schloss gerade, als ich es gefunden hatte, wohl ein Zeichen, dass es Zeit war, den Weg zurück zur Bushaltestelle anzutreten).

Fazit
Drei (Haupt-)Eindrücke:
Die Geschichte des Baltikums ist recht komplex und teilweise auch sehr traurig. Gerade weil Kaunas eher klein ist, zeigt es zumindest einen Teil seiner Geschichte ziemlich kompakt – Hanse, schwedische Besatzung, russische Besatzung, Zeit des Nationalsozialismus, Sowjetzeiten – sie begegnen einem in Kaunas allerorten.
Subjektiv (natürlich), aber: Die Menschen von Kaunas wirken recht religiös. Die meisten Kirchen habe ich primär von außen gesehen, da sonntags in fast jeder von ihnen mehrere Gottesdienste stattfinden. Auch einer Prozession bin ich regelmäßig begegnet (oder waren es mehrere?). Dann gibt es noch eine Synagoge und eine Moschee (und sicherlich noch einige andere religiöse Gebäude, an denen vorbei mich mein Weg gar nicht führte). Das war durchaus ein Kontrast zu Riga.
Außerdem: überall Mähroboter!
Und das war mein Rundgang durch Kaunas. Es gäbe tatsächlich noch einiges mehr zu sehen, sowohl in der Stadt als außerhalb. Aber um einen ersten Eindruck zu gewinnen, reicht ein Tag auf jeden Fall.
Eure sicherlich irgendwann nochmal nach Kaunas fahrende Charlotte